Auftakt-Wein

Eigentlich war der Sonntag anders geplant, aber plötzlich sah die Agenda vor, dass es das WM-Erstrunden-Match der deutschen Mannschaft auf dem heimischen Schirm und in der Halbzeitpause ein Filetsteak gibt. Viel Zeit blieb nicht für die Weinauswahl, und der Sommer macht schon wieder Pause. Also gab‘s Bordeaux. Am Sonntag mit einer Stunde Luft war meine Wahl schon sehr ordentlich, heute zum Brasilien-Spiel mit zwei weiteren Tagen Luft ist er richtig grandios. Bei den Spielen sah es eher umgekehrt aus…

Chateau Lascombes, Chateau Lascombes 2004, Deuxième Cru Classé Margaux, Bordeaux. Rotweincuvée: 50% Merlot, 40% Cabernet Sauvignon, 10% Petit Verdot. In der Nase Johannisbeere, Cassis, Paprika, Schuhcreme und Kirsche. Am Gaumen viel Schokolade und Mokka, schwarze Johannisbeere, sehr milde Säure, mittleres Volumen aber recht kräftig, schöne Struktur mit sehr festem Kern, relativ viel Tannin. Der Abgang ist sehr lang, noch etwas adstringierend und mit erdigen Noten. 13% Alkohol sind gut integriert. Am 3. Tag sehe ich den Wein bei 91 Punkten. Kann man jetzt trinken, erst recht wenn man ihn eine Weile dekantiert. Ich werde die nächste Flasche allerdings erst bei der nächsten WM aufmachen.

Früher war alles besser

Meine erste Begegnung mit Bordeaux hatte ich, als die Preise für die bekannteren Gewächse schon ziemlich abgehoben waren. Doch die immer wieder aufkeimende Diskussion um die Frage, ob man sein (Rotwein-)Geld nicht besser anderswo anlegen solle, wurde von erfahrenen Aficionados mit dem Hinweis abgeblockt, nirgendwo auf der Welt gäbe es so finessenreiche, elegante und angenehm alkoholarme Rotweine für kleines Geld wie im Bordelais. Wer die Diskussion nur auf die bekannten, klassifizierten Gewächse beschränke, sei selber schuld.

Im Zuge der Subskriptionskampagne für den Jahrgang 2009 finden sich im Internetforum ‚talk about wine‘ eine große Menge Informationen und Eindrücke auch zu den sogenannten kleinen Weinen. Und was ich da lese, erschreckt mich etwas. 14% Alkohol scheinen in diesem Jahrgang eher die Regel zu sein, 15% sind auch keine Seltenheit. Und was die Preise angeht, treibt es nun auch die kleinen Weine in ungeahnte Regionen. Erlebnisse wie dieses hier, für gerade mal 11€, werden vermutlich immer seltener.

Chateau Richelieu, 2001, Fronsac, Bordeaux. In der Nase ein buntes Potpourri: Kirsche, Pflaume und Blaubeere dazu ein bisschen Lakritz und Zeder. Am Gaumen erfrischt der Wein mit angenehm tragender Säure, eher schlank aber ausreichend druckvoll, fruchtig mit genannten Aromen. Der Abgang ist mineralisch mit gut integriertem Holz und gereiftem Tannin. Ziemlich lang, ziemlich gut und leider vom Aussterben bedroht?!

Ich weiß, das klingt ein bisschen nach ‚Opa erzählt vom Krieg‘, aber der Weinwelt scheint eine Facette verloren zu gehen, die (vermutlich) nicht nur mir fehlen wird.

Reifeprüfung

Ich erwähnte gelegentlich, dass ich hinsichtlich der allermeisten Aspekte der Weinbegeisterung ein Durchschnittsmensch bin. So mag es kaum verwundern, dass auch ich nach einigen Jahren des Probierens bei Bordeaux-Weinen anlangte. Selbst wenn sich daraus keine meinem Riesling- und Spätburgunder-Faible vergleichbare Leidenschaft entwickelte, übt Bordeaux Faszination auf mich aus. Als ich vor einigen Jahren endlich einen zur Weinlagerung geeigneten Keller mein Eigen nennen durfte, lagerte ich mir prompt einige Kisten mittelgewichtiger Gewächse ein. Ein kleiner Traum ging in Erfüllung. Aber die Freude war nicht ungetrübt. Ich stand vor den Kisten mit diesen faszinierenden Namen und wusste nicht: wann trinken?

Die Recherche war ergiebig: es gab und gibt bergeweise Literatur mit Empfehlungen zu Trinkreife. Doch bei genauerem Hinsehen trat ein Problem auf. Als ich die Empfehlungen der vier mir zugänglichen Quellen nebeneinander legte, ergab sich der perfekte Widerspruch. Wo Johnsons Zeitfenster zugeht, fängt Parkers manchmal erst an. ‚Vinum‘ drängt mich zur Eile, wo Gabriels ‚Weinwisser‘ zur Geduld ermahnt. Einigkeit herrscht eigentlich nur in einem: nach der Ankunft im Keller erst mal nicht anrühren – ob zwei oder fünf Jahre kommt schon auf die Quelle an.

Nun werden Weine aus Bordeaux in Zwölferkisten verkauft. Also beschloss ich den Selbstversuch und mache von einigen Weinen jetzt alle paar Jahre einen auf und notiere. Das schult meinen Gaumen nur bedingt, weil sich einzelne Jahrgänge in der Reife erheblich unterscheiden können, ist aber eine prima Ausrede, um jederzeit edlen Stoff ins Glas zu kriegen. Einen nichtigeren Anlass als: ‚Ich muss überprüfen, wie es um den Reifeverlauf steht‘, kann ich mir kaum vorstellen. Dieser Tage war es mal wieder so weit.

Chateau Giscours, Rotweincuvée, 2004, Margaux (3. GCC), Frankreich (Bordeaux). 65% Cabernet Sauvignon, 30% Merlot, 5% Cabernet Franc. Ich habe den Wein nicht karaffiert. Nach einer Viertelstunde war er voll da und hielt sich über mehrere Tage, wobei er am ersten Tag am schönsten war. In der Nase dominierten das Fass und der Cabernet: ziemlich viel Holz, daneben Johannisbeere, Cassis und grüne Paprika. Am Gaumen war der Wein sehr jugendlich aber auch zugänglich. Johannis-, Blau- und Brombeeren gesellten sich zu auch hier deutlichen Holzaromen. Reifenoten oder Tertiär-Aromen fehlen vollständig: kein Leder, Zeder, Tabak, Waldboden, Kuhstall, Kakao, Trüffel oder ähnliches, stattdessen eine kühle Frische und mineralische Struktur. Überhaupt ist es vor allem die Struktur, die Spaß macht: Mittlerer Druck am Gaumen, eher seidige Textur, spürbare Säure und mineralischer langer Abgang machen diesen Wein sehr elegant, wenngleich über allem noch kräftiges Tannin liegt. Jetzt einen Tick besser als die erste Flasche vor zweieinhalb Jahren. In Punkten ausgedrückt sind das für mich 91.

Gräfin von und zu Teuer

Einige Jahre der Kommunikation mit eingefleischten Bordeaux-Aficionados ließen in mir die (nicht ganz ernst gemeinte) Erkenntnis reifen: Es gibt kaum schlechte ‚klassische‘ Bordeaux, es gibt nur unfachmännische Verkoster/Trinker. Denn wenn man einem wahren Bordeauxfreund nahelegt, dass etliche der ‚SuperSeconds‘, Dritt-Crus oder Premier-Gewächse ziemlich durchschnittlich munden, gibt es meist einen Hinweis retour, dass man einen solchen Wein ja auch nicht so trinken soll, wie man es gerade gemacht hat. Gräfin von und zu Teuer weiterlesen