Ich war beim König von Chambertin. Wir haben fürstlich getafelt, göttlich getrunken und zünftig gesungen.
Als mir der unvergleichliche Pascal Bérard vor rund zehn Jahren ein Trinklied beibrachte, bei dem man die Hände in der Höhe dreht, bevor man klatscht, während man überwiegend Lalala singt, habe ich mir nicht vorstellen können, dass diese Lektion mal in die Kategorie hilfreiches Wissen fallen sollte. Doch seine Behauptung, diese Übung gehöre zu jedem Weinfest im Burgund dazu, entpuppte sich dieser Tage als Wahrheit mit Tendenz zur Untertreibung. Singen, Klatschen und Schunkeln sind – neben Essen und Trinken auf ungleich komplexerem Niveau – elementarer Bestandteil eines Weinfestes im Burgund. Rund 20 Mal sang ich Pascals Gassenhauer bei der Paulée des ‚Roi Chambertin‘. Und auch sonst: Einzug des Königs, Reden der Honoratioren, Trachtenkapelle – der Unterschied zum durchschnittlichen deutschen Volksfest liegt beim Roi Chambertin vor allem in der Wahl der Waffen: Hirschfilet und Chambertin statt Haxe und Hacker-Pschorr.
Die Winzer zeigen ihre Werke
Vor dem Vergnügen steht auch im Burgund die Arbeit. Am Nachmittag vor dem Fest fand an gleichem Ort – der umgeräumten Werkhalle der Tonnellerie Rousseau in Gevrey-Chambertins kleinem Industriegebiet – die Jahrgangspräsentation der Winzer von Gevrey-Chambertin statt. 46 Erzeuger zeigten rund 130 Weine des Jahrgangs 2023. Bei den Ortsweinen, schätze ich, handelte es sich zu 50, bei den 1er Crus zu 90 und bei den Grand Crus zu 100 Prozent um Fassmuster.
Dieser Teil des Tages war der eigentliche Grund für meine Reise. Ich wollte wissen, ob ich das kann: mir in so einem frühen Stadium ein Bild von in der Jugend eher sperrigen Weinen zu machen. Ich muss noch mal wiederkommen, denn der Jahrgang 2023 ist ein eher üppiger, die Weine zugänglich und die Verkostung derzeit alles andere als schwierig. Hartgesottene Fans des Burgunds werden jetzt alarmiert sein. Was früh schon angenehm schmeckt, wird mit Reife oft nicht besser. Den Einwand verstehe ich, teile ihn aber nicht. Die Weine werden vermutlich nicht mit der schlanken Eleganz vergangener Dekaden punkten, aber wir sind noch weit von Trinkmarmelade entfernt. 2023, lautet mein sehr frühes und daher mit Irrtumswahrscheinlichkeit behaftetes Urteil, ist in Gevrey-Chambertin ein Jahrgang, der Fans mit enormer Tiefe begeistern kann und gleichzeitig den Skeptikern, denen Pinot immer zu dünn ist, ein richtiges Maul voll Wein schenkt.
Wie immer bei solchen Blitzverkostungen habe ich mir nur kurze Notizen gemacht. Erwähnt werden hier Weine, die mir sofort ein gutes Gefühl gaben und auch die nicht vollständig. Steady-Unterstützer erhalten wie gewohnt Zugriff auf die kompletten Notizen und finden diese am Ende des Artikels.
Vom Village bis zum Grand Cru
Den Start machte ich bei der Domaine Bachelet, die am ersten Fass stand, weil es die alphabetische Sortierung so vorsah. Sie hatte nur einen Wein am Start, den einfachen Gevrey-Chambertin, was ich ab jetzt mit GC abkürzen werde, was der geneigte Leser bitte nicht mit Grand Cru verwechselt. Der erste GC zeigte eine sattfruchtige Nase und üppig-würzigen Gaumen, ziemlich kräftig, dabei schön. Der GC von Berthaut-Gerbet war etwas verhaltener und eleganter als Bachelet, ziemlich frisch und mit angenehm feinkörnigen Abgang. Bei René Bouvier fand ich den 1er Cru ‚Combe au Moine‘ leicht grün, sehr frisch, mit tollem Tannin. Das hat Potenzial. Bei seinem Charmes Chambertin (Grand Cru) lag unter dem grünen Anflug eine Tonne Substanz. Sehr spannend. Bei Philippe Charlopin war der GC ‚Vieilles Vignes‘ sehr jung, sehr ernsthaft, sehr gut, der ‚La Justice‘ dann genau mein Beuteschema: konzentriert und druckvoll, aber nicht besonders schwer. In der Nase des Charmes Chambertin fand ich einen leichten Stinker, darunter liegt ganz großer Sport: erdig, fleischig, komplex.
Sehr spannend fand ich den GC ‚Champerrier du Dessus‘ von der Domaine du Château Philippe le Hardi. Er erschien mir etwas cremig, aber nicht belegt oder diffus, sondern spannend und dazu dunkelwürzig. Der GC ‚Carougeot‘ war im vergleich sehniger und heller, aber nicht unbedingt besser, dafür war der Champerrier zu ungewöhnlich. Letzter Wein der Domaine war der GC 1er Cru ‚Petite Chapelle‘. Der hat kräftigen Zug und klare Frucht, will die Kehle runter und ist doch so anspruchsvoll und vielversprechend unfertig – großer Sport. Die Domaine Bruno Clair zeigte einen sehr guten GC von der fruchtigen Seite. Der Chambertin Clos de Bèze (Grand Cru) bestach mit allerfeinster Zigarrenkiste, war sehr elegant, enorm lang, und überhaupt ganz toll! Beim GC ‚Clos du Meix des Ouches‘, Monopollage der Domaine du Couvent, wirkt der hohe Ganztraubenanteil noch etwas sperrig, aber die Idee verfängt schon jetzt. Viel Potenzial und eine tolle Nase. Der namengebende GC ‚Clos du Couvent‘ ist hingegen leicht, duftig und elegant. Sehr besonders fand ich den GC 1er Cru ‚La Romanée‘. Man beachte den Namen! Diese ebenfalls im Alleinbesitz befindliche Lage liegt ganz oben im Hang und ist umwaldet und isoliert. Er liebe die Arbeit in diesem Weinberg, weil man regelmäßig komplett allein sei, keine Menschenseele im Blickfeld und von vollkommener Stille umgeben, erzählte mir der Junior des Hauses. Der Wein ist frisch, fest und elegant. Ich liebe es, wenn Story und Weinqualität Hand in Hand gehen. Auch der Grand Cru des Hauses ist erwähnenswert. Charmes Chambertin ‚Aux Mazoyères‘ startet betörend und dann kommt heftig Tannin. Herrlich altmodisch und ganz wunderbar – falls jemand einen gediegenen Grand Cru unter 200 Euro sucht.
Drouhin-Laroze mit ganz starker Kollektion: GC ‚Clos des Combes‘ ein tolles Paket aus Frucht und Anspruch, ‚En Champs‘ in der Nase mit Pfeifentabak und roter Frucht, am Gaumen nobel, dunkel, fein. GC 1er Cru ‚Lavaux Saint Jacques‘ mit eher fruchtige Nase, nur etwas erdig, am Gaumen dann sehr erdig, und tolltolltoll! Chambertin Clos de Bèze mit würziger Nase, fester Wein, großes Grand-Cru-Potenzial. Auch die Domaine Duband holte mich voll ab. Der GC schon mit kirschiger Nase und am leicht grünen Gaumen dann eine unglaublich tolle knackige Kirsche, der Charmes Chambertin (Grand Cru) hat tolles Holz in der Nase, am Gaumen ist er fest, frisch, komplex und monsterlang – wow! Der Latricières Chambertin (Grand Cru) zeigte eine etwas bunte Nase, war etwas einfacher als der Charme, am Gaumen mehr Frucht, dann aber toller Grip. Sehr gut. Zum Abschluss hier Chambertin Clos de Bèze – feine Nase, am Gaumen leicht stahlig/blutig und das finde ich richtig toll. Dass die Domaine Duroché heißer Sch… ist, hatte ich vorher gelesen, jetzt gab es die Bestätigung in Form eines verspielten GC, fruchtig, dann sehr feines Tannin, eher helle Anmutung, spannend; eines GC ‚Les Jeunes Rois‘ mit kleinem Stinker in der Nase, sehr saftiger Anmutung am Gaumen, frisch, gut und einem ‚Lavaut Saint Jacques‘ (hier in der Alternativschreibweise mit T statt X) wieder mit leichter Reduktion in der Nase, etwas stoffiger am Gaumen, süße Frucht, feines Tannin, himmlisch!
Genial geht auch zweistellig
Wenn ‚Lavau(x)(t) Saint Jacques‘ drauf steht, dann ist eigentlich immer großer Sport in der Flasche. Da macht Faivelay keine Ausnahme. Mit toller Säure und feinem Tannin passiert nach hinten raus ganz viel. Lebendig und gut! Der Mazis-Chambertin (Grand Cru) aus gleichem Hause hat eine wundervolle Würznase und ist dann am Gaumen sehr erdig, geheimnisvoll und wahnsinnig tief. Ganz großer Wein! LSJ ist leider immer teuer. Zum Glück gibt es Alternativen. Besonders viel Burgund fürs Geld gibt es zum Beispiel beim 1er Cru ‚Combe au Moine‘ von Dominique Gallois. Der ist ist seeehr seidig und dadurch seeeehr verführerisch und insgesamt seeeeehr toll. Hier gibt es auch einen im Vergleich günstigen Grand Cru. Der Charmes Chambertin ist einerseits leicht balsamisch, dann wieder sehr frisch und bissig mit einer tollen Säure, darüber erdig, besonders tief und ganz groß. Der einfache GC ist auch nicht zu verachten. Château de Laborde zählt ebenfalls zu den eher günstigen Erzeugern (günstig im Vergleich, nicht absolut) und weiß zu überzeugen. Das Leitmotiv der Kollektion ist präzise Frucht, knackig, reif, und von bissiger Säure unterlegt. GC ‚Vieilles Vignes‘ legt dabei eine falsche Fährte, denn man erwartet nach dieser süßlichen Fruchtcreme-Nase gar nicht so viel Präzision am Gaumen. Sehr gut! GC ‚En Denrée‘ von 90 Jahre alten Reben: Erst süß und verführerisch, dann bissig. Auch sehr gut! Und GC 1er Cru ‚Les Corbeaux‘ wieder so präzise in der Frucht. Toll!
Die Domaine Les Astrelles zeigt einen GC ‚Creux Brouillard‘ dessen Frucht so verführerisch ist, dass die niederen Instinkte das Kommando übernehmen. Beim ‚Les Crais‘ kommt wundervoller Bleistift zur schönen Frucht. Der ‚Lavaut Saint Jacques’ ist erkennbar für die Strecke gemacht, minimal grün, aber so spannend und vielversprechend, wow! Die Domaine Lucien Boillot bedient bei ihren 1er Crus genau mein Beuteschema: Leicht ätherische Nase, viel rohes Fleisch am Gaumen und ganz viel Struktur nach hinten raus beim ‚Corbeaux‘ und beim ‚Cherbaudes‘ noch ein fester Kern zum Abgang hin. Marchand-Tawse (Domain und Negoc.) GC kompakt, fest, klar, schon toll, aber GC ‚Etelois‘ schwebt. Das ist esoterisch, aber was soll ich machen: er schwebt! ‚Lavaux St Jacques‘ hat auch so etwas Müheloses. Ich will das nicht ausspucken, aber ich kann den Schluckrefelex niederkämpfen, wenngleich ich rätsele, wie mir das gelungen ist. Wundervoll! Mazis Chambertin: Süße Frucht von solcher Schönheit ist selten. Wenn sie nicht minimal belegt wäre, dann riefe ich ‚Perfektion!‘ So rufe ich nur: Was für eine Struktur und was für ein schöner Wein!
Eben esoterisch, jetzt modisch: Thierry Mortet begeistert mich beim GC mit steinigem Zug, auch wenn das zwei Unworte sind. Beim GC ‚Vignes Belles‘ kommt nobles Holz dazu und das ist gut so. Philippe Naddefs GC ‚En songe‘ vereint tolle Frucht mit ernsthafter Würze und viel Säure. Stark! Der 1er Cru ‚Champeaux‘ ist intensiver, für die Strecke gebaut, wieder dieser tolle Abgang. Beim 1er Cru ‚Les Cazetiers‘ wird’s existenziell: Soll ich erst den Wein verkosten, oder die frisch eingetroffenen Blätterteig-Käseteilchen naschen, solange sie noch warm sind, oder vielleicht beides? Hach, abgelenkt. Sehr schöner Wein. Danach Mazis Chambertin, noch unfertig, aber enorm vielversprechend. Die Domaine Henri Rebourseau liefert den nächsten Höhepunkt: GC ‚La Brunelle‘ startet mit charmanter Frucht, dann viel kreidige Tiefe, ganz toll! Bei, Charmes Chambertin ist die Frucht so konzentriert, dass es fast schmerzt und danach kommt so viel fleischige/blutige Substanz. Was für ein Monster! Ich bin schockverliebt. Mazy Chambertin (Grand Cru, alternative Schreibweise zu Mazis): Ersetze Blut/rohes Fleisch durch erdig. Noch so eine Granate!
Philippe Rossignols GC balanciert Frucht und Anspruch. Was für eine Schönheit! Sein ‚Les Evocelles‘ ist etwas kühler und eleganter, wow! Beim 1er Cru ‚Les Corbeaux‘ wird es etwas kreidig, verschlossen und sowas von elegant, während die betörende Frucht erhalten bleibt und es geht noch weiter: 1er Cru ‚Les Estournelles St Jacques‘: Beeindruckend, dieses Potenzial, das da noch drauf kommt. Von diesem Weingut würde ich gerne mal einen Grand Cru probieren, Hammer-Kollektion. Bei der Domaine Tortochot ist der ‚Lavaux St Jacques‘ im Vergleich preisgünstig. Er startet fröhlich und dunkelt dann im Abgang nach, wird erdig-geheimnissvoll und fest. Wow! Die Domaine Trapet-Rochelandet ist die letzte auf der Liste. GC ‚Les Carougeot‘ ist eher karg, dabei elegant, der GC ‚Les Champs Chenys‘ dann fruchtiger, aber auch erdiger und auch sehr gut. Beim 1er Cru ‚Bel Air‘ finde ich süße Frucht und viel Substanz, I like! Und auch der letzte Grand Cru ist fein: Ruchottes Chambertin noch sehr bunt, tolles Potenzial, guter Schlusspunkt.
Nach der Präsentation und einem kurzen Abstecher ins Hotel zwecks Erfrischung und In-Schale-Werfens kam dann der gemütliche Teil des Abends. Über die Paulée erzähle ich nächste Woche im Podcast.
Für Steady-Unterstützer gibt es zu den üblichen Bedingungen (for your Eyes only) meine kompletten Notizen. Bei Fragen zu diesen bitte nicht hier in die Kommentare, sondern lieber eine Nachricht oder Mail an mich schreiben.
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Hallo Herr Bodman, sie können doch nicht im Podcast erzählen, dass sie Spätburgunder überdrüssig geworden sind und dem Pinot abschwören und dann mit so einem Bericht die Pferde scheu machen! Gerade haben wir Leser/Hörerinnen uns auf Nebbiolo aus dem Piemont und iberischen Grenache aus Höhenlagen eingegrooved. Wir haben vielleicht sogar insgeheim angefangen, auf die laute Schar derjenigen, die rote Burgunder zur Spitze der Weinwelt erklären, ein bisschen herabzuschauen. Und dann reisen Sie einfach ins Burgund und schreiben so faszinierend über diese Pinots, dass einem 200 Euro für einen Premier Cru gar nicht mehr so teuer vorkommen. Eins ist klar: So kommen wir nicht weg von diesen Weinen. Mist. Und vielen Dank für den Lesegenuss!
Also erst einmal Danke für die Steady-Unterstützung. Und dann: klar kann ich das erzählen! Das ist wie viele Jahre her? Ih habe in den letzten drei Jahren eine einzige Flasche Pinot gekauft, mithin wirklich dermaßen Abstand gewonnen, dass eine vorsichtige Wiederannäherung geboten erschien. Ja gut, vorsichtig ist vielleicht nicht die richtige Beschreibung …
Übrigens, wie auch im aktuellen Blindflug noch mal betont: der günstigste (aber bei weitem nicht schwächste) Premier Cru kostete 75 Euro.Es ist nicht alles verloren!