Dritter und letzter Tag der Nebbiolo Prima bedeutet: 59 weitere Barolo aus 2022 und dann – 10 Jahre nach ihrer Premiere – einige Wiedervorlagen von Roero, Barbera, Barolo sowie ihrer Riservas.
Es fehlen noch zwei Gemeinden und mit denen geht der Tag los. Wie schon zuvor tickere ich vor mich hin und kann erst später den Text finalisieren, wenn die Entblindung stattfindet. Ich will aber vorwegnehmen, die erste Stunde bin ich im Paradies. Die Bewohner von Monforte d’Alba haben 2022 offensichtlich alle immer ihren Teller leergegessen oder anderweitig den lieben Gott auf ihre Seite gezogen. Das geht direkt mit dem ersten Wein dem Bricco San Pietro von F.lli Broccardo los: Leichte Rumtopfnase, eher warme Aromatik am Gaumen, schöne Säure und feines Tannin, hat eine Mühelosigkeit, die vielen der bisher probierten abging. Die gleiche Lage von Cascina Sot di Sanso Maurizio hat hervorragende Anlagen. Würzige Nase, am Gaumen etwas belegt, aber die Säure ist ganz wunderbar, das Tannin sehr nobel.
Leicht blumig in der Nase, dazu Zigarrenkiste, sehr helle Aromatik am Gaumen, Erdbeere und Glaskirsche, extrem knackig, schöne Säure, sehr feines Tannin. Diego Pressendas Version der Lage tanzt. Frucht und Tabak in der Nase, sehr saftiger Antrunk, sehr fruchtiger, eleganter Übergang zu einem wahnsinnig schönen Abgang voll feinstem Tannin: Den Bussia von Barale F.lli finde ich groß. Wow. Leder und ein ganz bisschen Stall plus Kirsche in der Nase des Bussia Vigna dei Fantini von Silvano Bomida. Am Gaumen dunkelwürzig, auch dunkelfruchtig, Schwarzkirsche und Teer, viel packendes Tannin. Gut! Ein kompaktes Paket, junger Barolo mit allen Eigenschaften, die im Lehrbuch stehen und auch noch ziemlich gut – wer sich in das Thema eintrinken will, könnte mit dem Vigna Pian Polvere Me.G.A (stammt auch aus dem Bussia) von Famiglia Anselma anfangen. (Update nach dem Aufdecken: preislich ist das kein Anfängerwein, aber auch nicht völlig abgehoben).
Schöne Balance von duftigen und sattfruchtigen Noten in der Nase, am Gaumen ein bisschen zu viel Erdbeersahnebonbon für meinen Geschmack, aber das ist nur eine Momentaufnahme. Die Struktur ist klasse, die Säure tragend. Im Zweifel für den Bussia Dardi le Rose von Poderi Colla. Der Bussia von Ruggeri Corsini startet extrem dunkelwürzig und hellt dann mit Rose und Veilchen auf und dann kommt Schoko und Holz. Das finde ich sehr interessant. Braucht definitiv noch ein paar Jahre.
Langsam kommt Routine
Nach über 100 verkosteten Weinen traue ich mich, den Castelletto von Fortemasso als typisch zu bezeichnen. Sehr balanciert und in der Mitte des Geschmacksprofils (und gut ist er auch, sonst würde ich ihn nicht erwähnen). Der Castelletto Persiera von Saffirio betont die Frucht etwas mehr, ist angenehm klar mit Himbeere unterwegs und packt dann schöne Würze aus. Das macht viel Spaß. Und der Vigna Pajana von Renzo Seghesio spielt eher die Tabakwürzige Karte, ähnelt in der Struktur seinen beiden Vorgängern und komplettiert ein famoses Trio aus dem vierten Flight des Tages. Der Le Coste Di Monforte von Diego Pressenda ist duftig, blumig, hell und nach hinten raus kommt Teer als Kontrast. Extrem lebendig und mit feinstem Tannin veredelt. Was hier aus Monforte d’Alba auf dem Tisch steht, ist das, was ich eigentlich an den ersten beiden Tagen erwartet hatte: eine Auswahl wunderbarer Weine aus einer der edelsten Herkünfte des Planeten. Hier mit Peccheninos Version der gleichen Lage wieder ein blumig-würziger Vertreter, eher erdig als fruchtig und mit ganz viel Tannin seine Jugend demonstrierend, aber trotzdem unschwer als großartiger Wein zu identifizieren. Ich bin heute Morgen tatsächlich strenger als in den letzten Tagen, weil sich so viel fürs Blog aufdrängt. Steady-Unterstützern sei der Blick in die Arbeitsmappe empfohlen, da sind noch ein paar Weine zu entdecken.
Fest, kompakt und leicht verschlossen in der Nase und am Gaumen. Säure und Tannin sowie die klare Aromatik deuten aber großes Potenzial an. Der Dorfbarolo von Cascina Sot di Sanso Maurizio ist spannend! Beim Bricco san Pietro von Anna Maria Abbona werde ich albern: Erdbeere erfüllt sich Lebenstraum und wird Barolo statt Marmelade. Das könnte man glatt verfilmen und hier ist die Romanvorlage. Sehr schöner Wein mit bezaubernder Frucht. Eher Kirschfruchtig ist der Dorfbarolo von Diego Conterno, dabei ein unerhört saftiger Antrunk und so ein feiner Übergang vom Saft zur Phenolik, dass man dazu tanzen möchte. Großer Sport. Dann der Einfache von Famiglia Anselma: Seit längerem mal wieder ein Wein, der eher auf der Rosenwelle surft, abgedunkelt mit etwas Leder. Auch angenehm saftig, von deutlich mehr Tannin gekapert, aber das schreckt nicht ab, sondern macht neugierig auf eine sicher tolle Entwicklung. Abschied aus Monforte mit einem letzten saftigen Fruchtausdruck der Extraklasse, dann feine Würze und eine Wand aus Tannin, packend und auf passende Weise rustikal. Auch Fortemassos Dorfbarolo ist richtig gutes Zeug!
Serralunga kann nicht mit
Serralunga braucht ein bisschen Anlauf bevor der Funke überspringt. Beim Cerretta von Alario Claudio ist es soweit. Ein feiner Beerenkompott mit anständiger Säure und feinem Tannin, bei guter Tiefe. Wir sind aber noch nicht auf dem Granatenlevel. Riesiger roter Früchtekorb trifft Mengen an hellem, feinem Tannin und die Säure baut eine passende Brücke. Davide Fregoneses Cerretta gefällt mir. Vigna La Rosa von Fontanafredda hat etwas Interessantes, Blumig-grünes in der Nase und am Gaumen recht viel Zug. Die Frucht ist hell, die Anmutung ein bisschen untypisch, aber der Wein ganz stark. Klassische Nase beim Lazzarrito von Casa E. di Mirafiore, saftiger Antrunk, lebendig und klar, zupackendes Tannin mit etwas dunkler Anmutung. Gutes Gesamtpaket. Palladinos Ornato setzt seiner Kilotonne Tannin eine wunderbar lebendige Frucht und schöne Säure entgegen. Auch wenn sich das jetzt anfühlt, als würde man einen Esslöffel Sand in den Mund nehmen, wirkt das wie ein ziemlich großer Wein und der bisher beste aus der Gemeinde (aber schon der 17. Serralunga im Glas). Dankenswerterweise mit dem Parafada von Casa E. di Mirafiore gleich noch einer aus der Kategorie: ‚Alles drin und dran und ziemlich gut‘ hinterher.
Sehr schöne, blumige Nase, viel kirschige Substanz, passende Säure und zwar viel, aber sehr zivilisiertes Tannin. Der Prapò von Luigi Vico ist ein Guter. Die letzten drei retten dann die Ehre des Dorfes: Verhaltene Nase, fruchtig blumiger Gaumen mit sehr schöner Säure und sehr passendem Tannin. Der Dorfbarolo von Manzone Gian Paolo ist rundherum gelungen. Leder und Beerenmix in der Nase von Luigi Vicos einfachem, am Gaumen ähnliches Bild, auch wieder mit schöner Säure und etwas mehr Tannin, aber auch etwas klarerer Frucht. Sehr gut. Noch klarere Frucht am Gaumen des Serralungas von Rocca, straffe Säure, gediegenes Tannin, schicke Zigarrenkistennase.
Ten Years After
Viel Frucht und Substanz in der Nase und am Gaumen des Roero Riserva 2012 Sudisfà von Angelo Negro, toll integriertes Tannin, ganz wunderbar harmonisch. Der Barbaresco Massirano 2013 von Pietro Rinaldi ist noch harsch im Tannin, aber hier habe ich den Eindruck, wir versuchen das einfach in fünf Jahren noch einmal, denn er ist spannend, klar in der Frucht, besonders. Montaribaldis Sorì Montaribaldi 2013 Barbaresco riecht nach Erbsensuppe mit Speckeinlage und Liebstöckelgrün inklusive Bockwurst. Aber sowas von schräg. Und dann ein Gaumen zum Niederknien: Frucht und Würze und Tannin auf das Beste verwoben. Das Tannin ist allerdings immer noch aus der Kategorie: Ich passe nur zum Essen, nicht zum Kamin. Großartig. Eher verhaltene Nase bei Albino Roccas Ronchi, am Gaumen eine Nummer kleiner als der Vorgänger aber auf unaufgeregte Art anziehend und sehr elegant. Der geht auch ohne Essen. Deutliche Reifenoten in der Nase von Luisins Rabaja: balsamisch, erdig. Am Gaumen immer noch charmante rote Früchte, gut integriert mit ausreichend Säure und packendem Tannin. Mag ich.
Eine Etage drüber, als Barbaresco Riserva 2011 der Rongalio von Orlando Abrigo mit verhalten fruchtiger Nase, am Gaumen leicht cremige, sehr verführerische Frucht, etwas Tabak, perfekt integriertes Tannin, fächert zu komplexer Länge auf. Ganz stark! Massig Liebstöckel in der Nase von Punsets Basarin, was am Gaumen spurlos vorbeigeht. Da habe ich würdig gereifte Frucht, etwas Teer und Tabak und viel schönes Tannin. Gefällt mir.
Barolo 2012: Der Vigna La Rosa von Fontanafredda hat (immer noch?) einen kleinen Stinker, wirkt am Gaumen angenehm jugendlich, toller Säurebiss, perfekt integriertes Tannin. Ganz stark. (Ergänzung nach 30 Sekunden Abgang: groß!) Erste Anflüge von Liebstöckel über lebendiger Frucht in der Nase von Palladinos Ornato. Am Gaumen finde ich das einfach nur würdevoll! Würdevoll gereift, noble Frucht, fett Tannin von erheblicher Güte, und eine so lebendige Säure. Großes Kino. Manzone Gian Paolos Serralunga ist der saftigste von den dreien, viel Zug und etwas schlanker bei vergleichbarer Tiefe. Kann man jetzt begeistert besingen oder vermutlich in drei Jahren die ganz große Trommel nehmen.
Reste von Frucht in der verhaltenen Nase des Arborina von Mauro Veglio, ein leichter Kaffee-Touch am fortgeschrittenen Gaumen, aber die immer noch süße Frucht setzt die Impulse. Das Tannin ist mächtig, mittelfein und der Wein stark. Beim Le Coste Di Monforte von Pecchenino finde ich einen betörenden Reifezustand von Aromatik (knackige und trotzdem gereifte Frucht, erdige Töne ohne jeden Muff) und edelstes Tannin und dann ruiniert die unterdimensionierte Säure den Augenblick, denn wir waren so nah an der Perfektion. Schnief. Oder positiv: Groß, aber mit einem benennbaren Grund, die 100 Punkte zu verweigern.
Letzter Wein ist die einzige Riserva vom Barolo. Leicht stallige Nase mit nur minimalen Alterstönen. Am Gaumen Schwarzkirsche, Leder und Teer, feine Säure, ein Maul voll Tannin, das aber nicht die Aromatik abwürgt. Das ist perfekt integriert und meiner Meinung nach eine große, wunderbar gereifte Riserva, die noch ein langes Leben vor sich hat. So will ich die Veranstaltung beenden. Danke an den (zu diesem Zeitpunkt noch anonymen) Spender dieses großen Weines. Auflösung, es ist Cavallottos Riserva Vignolo 2010, was kaum überrascht, da Cavallotto hier über alle Tage Traumstoff hingestellt hat. Das ist einfach ein ganz Großer unter den Bezahlbaren..
Damit endet die Nebbiolo Prima. Ich werde sicher im Podcast noch berichten. Gehe ich recht in der Annahme, dass ein separater Fazit-Artikel nicht nötig ist? Sonst bitte Kommentar hinterlassen (ab 5 Meldungen setze ich mich noch mal hin). Mein Dank an die Veranstalter geht ausführlicher auf anderen Kanälen raus. Die lesen hier nicht mit.
Und auch hier noch eine Arbeitsmappe mit den vollständigen Notizen für die Steady-Unterstützer. Viel Spaß damit und immer dran denken: das sind eher grobe Einschätzungen.





