Retsina-Tasting

High-End-Retsina von und mit Eleni Kechri

Die Einladung zur Retsina-Probe kam nur Tage nach meiner nicht ganz geglückten Begegnung mit Retsina in Blindflug Episode 167. Also fragte ich Michael, ob er nicht statt meiner gehen wolle, denn der ist ein wahrer Auskenner in Sachen griechischer Wein. Hier also ein Gastbeitrag von Michael Rauscher.

Als Felix mich fragte, ob ich ihn bei einer Verkostung von griechischen Weinen in Berlin vertreten könne, musste ich nicht zweimal überlegen und habe sofort zugesagt. Gestern, am 29. September, war es dann so weit. Thema war Retsina, und die Önologin des Weinguts 1979WINES war nach Berlin gekommen, um im Rahmen einer Masterclass ihr Konzept und ihre Weine zu erläutern. Auf die Masterclass folgte eine Pause, in der wir den Gaumen mit griechischem Mythos-Bier erfrischen und neutralisieren konnten, bevor es dann zum Essen ging. In der Begleitung zu den drei Gängen zeigten die Weine dann ganz neue Facetten, von denen uns einige sehr überrascht haben. 

Lady Retsina – eine Wiederholungstäterin

Winzerin Eleni Kechri
Winzerin Eleni Kechri und Marketingmann Yorgos Darlas vom Weingut 1979Wines

Doch von vorn: Retsina hatte lange das Image eines Billigweins, bei dem das hinzugefügte Harz in erster Linie die Aufgabe hatte, die miese Qualität des Traubenmaterials zu maskieren. Das hat sich im Laufe der letzten 15 bis 20 Jahre deutlich geändert, und Eleni Kechri hatte wesentlichen Anteil daran. Von ihrer Ausbildung in Bordeaux mit frischen Ideen auf das elterliche Familienweingut in Nordgriechen-land zurückgekehrt, startete sie das Projekt eines neuen, völlig anderen Retsinas auf Basis der griechischen Edelrebsorte Assyrtiko. Dieser Wein, „Dákry tou Péfko“, auf deutsch die Träne der Pinie, hat wesentlich dazu beigetragen, Retsina nicht nur in Griechenland, sondern auch international salonfähig zu machen.

Ihr neuestes Projekt ist nun 1979WINES, wobei 1979 für das Jahr steht, in dem Retsina in Griechenland als traditionelle Herkunftsbezeichung geschützt wurde. Die Weine sind reinsortig, 100% Assyrtiko aus einer Weinlage in der Region Goumenissa in Nordgriechenland. Vergoren wird mit Reinzuchthefen. Den Unterschied machen die verwendeten Pinienharze. Beim Thalassino wird Harz aus einem Pinienhain nahe der Küste auf der Halbinsel Chalkidiki in Nordgriechenland verwendet („thalassa“ ist im Griechischen das Meer), beim Stergiano („stereá“ das Inland) aus einem Wald in einer gebirgigen Region westlich von Athen. Bei der Harzgewinnung wird auf Nachhaltigkeit geachtet: Man verzichtet auf Chemikalien, die bei konventionellen Methoden der Harzgewinnung dafür sorgen, dass die Rinde der Pinien sich nach dem Anritzen nicht in wenigen Tagen wieder verschließt. Das schont die Bäume, ist aber deutlich arbeitsintensiver und damit teurer. Bei identischem Traubenmaterial und Vergärung mit Reinzuchthefen handelt es sich also sozusagen um ein kontrolliertes Experiment zum Einfluss verschiedener Harzsorten auf den Wein. Das Projekt ist jedoch keineswegs rein akademisch; es mündet in hedonistischem Weingenuss.

Retsina – Jahrgang verboten

Wir hatten die Jahrgänge 2022 bis 2024 plus den Jungfernwein von 2020, von dem es nur einen gibt, da damals noch nicht zwischen verschiedenen Sorten Pinienharz unterschieden wurde. Weil laut der Verordnung von 1979 bei Retsina keine Jahrgangsangaben auf dem Etikett stehen dürfen, hat Eleni sich entschieden, die Jahrgänge mit Phantasiebezeichungen zu charakterisieren. 2020 Phos= Licht, 2022 Ousia=Essenz, 2023 Cosmos=Welt und 2024 Meta=danach/nachher. 

Alle Weine transportieren trotz des deutlichen Einflusses des Pinienharzes ganz klar die Eigenschaften der Rebsorte Assyrtiko, insbesondere die zitrischen Noten, auch mit einem Hauch Zitronenschale. Generell hatte ich den „Bergwein“ Stergiano leicht vor dem „Meerwein“ Thalassino. Mir erschien er etwas weniger harzig, aber dafür die Mineralik („steinige“ Noten) stärker betonend. Bei der Mehrzahl der anderen Teilnehmer*innen der Probe war es umgekehrt. Dort lag der Thalassino vor dem Stergiano und wurde als der elegantere Wein wahrgenommen. So unterschiedlich die Geschmäcker auch sind, einig waren wir uns, dass hier großartige Weine zur Verkostung anstanden. Für mich die besten Retsinas, die derzeit zu haben sind, beide noch einen Tick besser als meine bisherigen Favoriten, die bereits erwähnte „Träne der Pinie“ und der ebenfalls wunderbare „Pine Forest“ von Gikas (nahe Athen, auch 100% Assyrtiko).

1979Wines Retsina

2024 (Meta) war noch sehr jung, die Säure etwas spitz und noch nicht so richtig eingebunden. Das wird sich fügen und in einem oder zwei Jahren besser sein. In welche Richtung es gehen wird, zeigten die Weine von 2023 (Cosmos) und 2022 (Ousia): Sowohl Thalassino als auch Stergiano zeigten sich von ihrer besten Seite, zitrisch-frisch, aber mit gut eingebundener Säure und gut eingebundenen harzigen Noten. Das Harz ist präsent, aber nervt nicht, ähnlich wie das Holz bei gut gemachten Barrique-Weinen. Zum Schluss kam Phos 2020, ein ganz anderer Wein: Sowohl Säure als auch die Harznoten waren sehr zurückgenommen, statt der zitrischen Noten dominierte Gelbfruchtiges. Auf mich wirkte der Wein nach den intensiven 2022ern und 2023ern fast ein wenig langweilig – eine Einschätzung, die sich später beim Essen deutlich ändern sollte.

Ein wunderbarer Essensbegleiter

Als Vorspeise gab es Carpaccio vom Flussbarsch in einer Buttermilchsauce, und – siehe da – die beiden 2024er waren mit ihrer prägnanten Säure voll auf der Höhe und begleiteten dieses Gericht ganz hervorragend. Die große Überraschung hatten wir beim Hauptgericht: Hirsch rosa gebraten mit frittiertem Schwarzkohl. Die perfekte Begleitung war der von mir zunächst geschmähte 2020er. Die sanfte Säure und die verhaltenden Harznoten passten ganz hervorragend zu diesem Gang, eine echte Überraschung, nicht nur für mich, sondern auch für die anderen Teilnehmer der Probe, die ebenfalls sehr angetan waren von dieser Kombination. Beim Käse hatten dann alle Weine Schwierigkeiten, am besten klappte es noch beim milden Ziegenweichkäse; zum Blauschimmel und zum Hartkäse hätte ein restsüßer Wein besser gepasst.

Fazit: Eine wunderbare Probe mit tollen Weinen, bei der ich mal wieder einiges gelernt habe!

Ein kleines Extra zum Abschluss: In einer Athener Weinbar hatte ich vor einem Jahr mal ein Gläschen Retsina zu Austern. Auch das ging ganz hervorragend. Dem Experimentieren und Kombinieren sind keine Grenzen gesetzt, und wer nichts riskiert, dem entgeht so einiges. No risk, no fun! 

And drink Retsina!

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