Der heutige Tag ist ganz dem Barolo gewidmet. 92 Weine des Jahrgangs 2022 stehen auf dem Tisch. Sie werden blind ausgeschenkt und erst nach Abschluss der Verkostung wird aufgedeckt.
Trocken, heiß und kurz, das sind die Schlagworte, die die Wachstumsbedingungen des Jahres charakterisieren. Die Lese war bereits Anfang Oktober beendet. Die Trauben waren gesund, die Beeren klein, das Saft-Schale-Verhältnis stark zu letzterer verschoben. Ich erwarte also Tonnen von perfekt ausgereiftem Tannin.
Leicht belegte Beeren-Nase mit etwas Leder zum Start im Monvigliero von Bel Colle. Kräftige, süße Frucht am Gaumen, weiches Tannin und nicht übermäßig viel davon; extremer Wohlfühlwein mit viel Grip. Noch etwas plüschig, aber ich bin optimistisch. Warme, holzwürzige Nase dann beim San Lorenzo di Verduno von Diego Morra. Warmer, vollmundiger Gaumen mit Holz und Mon Cheri und schönem Tannin. Gefällt mir gut. Der Wein aus gleicher Lage von Daniele Pelassa zeigt eine würzige Nase mit etwas Leder, am Gaumen zupackend, fleischig, zurückhaltende, dunkle Frucht, seriös, würzig, dann kommt viel feines Tannin. Ganz klassisch und ganz stark. Etwas plakative Holzaromen in der Nase des Bricco Ambrogia von Bruno Grimaldi, auch am Gaumen gehen die nicht ganz spurlos vorüber, sonst schöne Frucht und viel Potenzial.
Zigarrenkiste und rote Früchte, auch etwas Teer in der Nase des Panerole von Franco Conterno Cascina Sciulun. Der Gaumen ist dann erstaunlich hell, Cocktailkirsche, viel feines Tannin, angenehme Würze, tolle Säure. Ganz stark. Caglieros Ravera hat Erdbeere und Himbeere in der Nase, viel schöne Frucht am Gaumen, weiches Tannin, davon aber eine Menge, passende Säure, Leder und Zeder. Der macht enorm viel Spaß. Abrigo Giovannis Version der Lage ist hell, frisch, fruchtig, mit reichlich Tannin. Wie bei vielen anderen davor zweifele ich, ob die Substanz für die lange Reife reicht. Aber das hat viel Struktur und wird bald (als tanninstarker Wein) viel Spaß machen.
Soweit Verduno, Roddi und Novello, auf nach La Morra. Schöne Nase mit allem, was dazu gehört beim Boiolo von Malvira del F.lli Damonte. Auch am Gaumen das volle Barolo-Aromenpaket (bei eher wenig blumigen Komponenten). Schönes Tanningerüst, schöner Wein. Die bisher knackigste Kirsche mit saftiger und heller Anmutung dann bei Campàros Interpretation des Wingerts, schöne Säure, viel feines Tannin. Das ging zum Glück auch in 2022. Mag ich sehr. Nase leicht balsamisch, dazu Erdbeere, am Gaumen weicher Fruchtmix, passende Säure und eher zurückhaltendes Tannin. Das wirkt sehr oxidiert, aber ist vielleicht der Stil des Hauses von Alberto Ballarin. Interessant finde ich seinen Bricco Rocca mindestens.
La Morra mit Problemen
Angenehm schmeichelnd-cremiger Fruchteindruck beim Conca von Mauro Molino und auch die Textur ist sehr cremig, was gut mit der kräftigen Tanninstruktur spielt. Es muss nicht immer ‚präzise‘ sein, ‚fluffig‘ ist manchmal auch ganz toll. Wenig Frucht und viel Leder, Teer und Erde in der Nase von Gianfranco Bovios Gattera. Am Gaumen ein würziger, aber nicht zu dunkler Eindruck, zurückhaltende Frucht, ordentliche Säure, nobles Tannin. Mag ich. Klassische Nase, beim Rive von Negretti. Erdbeerfruchtiger, leicht blumiger Gaumen ohne dunkle Würzmomente, dafür schöne Säure und eine Wand aus feinem Tannin. Hat Klasse.
Ein süßer Ton in der eher würzigen Nase des Serradenari von Dosio erweckt meine ungeteilte Aufmerksamkeit und auch am Gaumen finde ich hier einen schönen Mix mit tollem Tannin im Abgang. Ein Jota mehr Säure wäre groß, aber der Wein ist mindestens schön. Rattis Version der Lage erfüllt alle Kriterien eines schönen Barolo, inklusive einer gewissen Leichtigkeit in der Textur, leicht blumigen Noten und sehr viel feinem Tannin. Gelungen. Eher animalische Nase mit Leder und Stall, auch etwas balsamisch; am Gaumen schöne Klarheit in der Frucht, saftiger Antrunk, lebendig, dann kommt tolles Tannin: Den La Morra von Poderi Marcarini mag ich sehr. Kleiner Stinker in der Nase, aber der geht noch als nobel durch; am Gaumen finde ich dann vieles, was ich nobel nennen mag: vollreife Kirsche und Himbeere, Tabak und Süßholz, sehr angenehmes Tannin – La Foia von Curto Marco di Curto Nadia ist ein wunderbares Paket. Leicht gekochte Frucht bei Reverditos Reverdito, auch etwas balsamisch, aber auf der schwelgerischen Seite ist das ein sehr vielversprechender Wein, weil die Frische und Substanz da sind. Sehr gut.
Wir verlassen La Morra, wo ich die Ausbeute etwas enttäuschend fand und wechseln nach Castiglione Falletto. Etwas Stall und Leder zur Walderdbeere in der Nase von Cavallottos Bricco Boschis. Am Gaumen kommt zu diesem Mix noch eine leicht blumige Note und dann sehr edles Tannin in Kompaniestärke. Sehr gut, aber auch hier fehlt ein Tropfen Säure zu echter Größe. Sordo Giovannis Monprivato ist besonders: Marzipan und Erdbeere in der Nase, am Gaumen angenehme Säure, saftiger Antrunk, dann kickt das Tannin rein, ohne die insgesamt strahlende Anmutung zu ruinieren. Richtig gut. Kurz und schmerzlos Montanello: Rosen in der Nase, blumig-fruchtig am Gaumen. Hell. Ordentliche Säure. Reichlich feines Tannin. Grandios. Der Villero von Arnaldo Rivera ist auch ein Lichtblick: helle Fruchtanmutung, blumige Noten, Leichtigkeit, ausreichend Säure und definitiv ausreichend Substanz für das reichhaltige Tannin. Das wird mal ein Guter! Ich mag die Nase von Livia Fontanas Fontanin, sie hat das volle Programm. Am Gaumen geht es munter weiter. Fruchtig, leicht blumig mit dezenter Würze und einem Abgang, der ausreichend Säure präsentiert. Super. Himbeerbonbon in der Nase und am Gaumen des Dorfbarolos von Montanello. Sehr lecker, dann kommt Seriösität dazu. Lecker hätte aber auch schon gereicht, um mich glücklich zu machen. Bezaubernd.
Barolo mit Wonne
Auf nach Barolo, zur Gemeinde, die dem Wein seinen Namen gibt. Balsamisch und holzig, mit Kokos und Erdbeerkompott, aber nach hinten raus fest, griffig, bissig. Wenn sich Wein 150 nach dem Aufdecken als bezahlbar herausstellt, werde ich mir eine Flasche davon kaufen, so gespannt bin ich darauf, wie das wohl reift. Auflösung: es ist der Albarella von Borgogno Serio e Battista. Das lässt sich einrichten. Klassisches Gesamtpaket in der Nase und am Gaumen von G.D. Vajras Baudana mit ausreichender Säure, schönem Tannin. Das sollte eigentlich die Referenz für einen gelungenen Barolo sein. In diesem schwierigen Feld bewegt er sich sogar im vorderen Drittel. Üppige Nase, satte Frucht am Gaumen, ziemlich knackig, dann wird es leicht duftig und dann kommt das Tannin. Die Säure reicht, die Aussichten für den Bricco delle Viole aus gleichem Hause sind rosig. Mario Marengos Version ist etwas duftiger als der Vajra, aber mit ähnlicher Mühelosigkeit. Da war das Dörfchen Barolo wohl etwas begünstigt, auch wenn dieser nicht ganz an die Klasse von Vajra ranreicht. Und bei Borgognos Cannubi finde ich den Biss mal wieder, der einer knackigen Frucht mit würzigem Beiklang die passende Überleitung zum noch sehr üppigen Tannin ermöglicht und mir das Gefühl gibt: was für eine tolle Ausgangsposition für die Reife zu Größe. Kirsche und Marzipan in der Nase des Coste di Vergne von Campàro, am Gaumen auch ein süßer Start mit verführerischer Frucht, ausreichend Säure, es kommt Würze dazu und dann das Tannin, wobei der Wein immer dunkler wird. Wahnsinnig viel Potenzial. Der Liste von Borgogno ist ausgesprochen lebendig mit knackiger, bunter Frucht und blumigen Aromen, schönem Tannin und ordentlicher Säure. Ein bisschen mehr von letzterer und er wäre groß.
Hell, duftig-blumig auch der Sarmassa Vigna Merenda von Scarzello Giorgio e Figli, dazu Erdbeere, auch am Gaumen fein, strahlend und dann sehr viel, sehr feines Tannin. Hat Anlagen zu Größe. Der Dorfbarolo aus gleichem Haus ist ein schönes Paket: Saftig, knackige Frucht (Kirsche, Erd-, Himbeere), lebendige Säure, Teer und Tabak und tolles Tannin. Sehr gut. Ordentlich auch die Ausbeute in Barolo. Wir ziehen weiter. Leicht stallige Nase beim Basisbarolo von Alessandro Rivetto, etwas streng-würziger Gaumen, aber Frucht und Säure sind durchaus vorhanden, das Tannin edel und der Gesamteindruck sehr positiv. Ganz viel Rosen in der Nase des Perarmando von Parusso Armando, am Gaumen auch eine bezaubernde Aromatik mit einem kleinen Erdbeerhintergrund. Ordentliche Säure, viel Tannin, viel Extraktsüße. Ich finde den Wein extrem interessant und würde auch hier gerne wissen, wie der gereift schmeckt.
Schönes Finale
Der einfache Barolo von Luigi Oddero e Figli baut zwar sehr schnell eine massive Tanninwand auf, aber vorher zeigt sich charmante Frucht mit viel Biss und ausreichend Säure. Mit Reife dürfte das ein ganz klassischer Vertreter seiner Zunft werden. Ein Guter! Fruchtkompott in der Nase, am Gaumen auch, allerdings nicht übertrieben gekocht, dazu verführerische Würze mit etwas Lakritz, tolle Säure, tolles Tannin: Paesi Tuoi von Vite Colte ist ein spätes Highlight. Dann mit dem Barolo ohne Namenszusatz von Gheddo ein leicht balsamischer Vertreter zum Ende, der aber mit viel Säure der üppigen Aromatik einiges entgegenstellt und auch keine so riesige Portion Tannin hinterher schiebt. Das wirkt irgendwie sehr gekonnt. Drei schöne Weine zum Abschluss eines Tages, der viel Licht, aber auch – für diesen berühmten Namen ein bisschen zu viel – Schatten zu bieten hatte.
Die Arbeitsmappe muss ich aus technischen Gründen nachreichen.




