Ich bin in Alba bei der Premiere der neuen Nebbiolo-Weine, als da wären Roero 2023 und Riserva 2022, Barbaresco 2023 und Riserva 2021 sowie Barolo 2022 und Riserva 2020. Die Weine werden in Blindverkostungen präsentiert, knapp 300 Weine in drei Tagen.
Tag 1 startet mit einer Auswahl von Roero und Barbaresco Weinen gemeinsam mit den Riservas aus allen drei Herkünften. Tag 2 ist dem Barolo vorbehalten und am Tag 3 werden die weiteren Baraolos mit Late Releases aus allen Herkünften kombiniert. Ein Live-Ticker ist insofern nicht möglich, da erst am Ende des Tages die Liste mit den Weinen freigegeben wird. Ich ticker also vor mich hin und mache die Texte dann am Nachmittag fertig. Wie immer bei dieser Art von Präsentation stelle ich hier die Weine vor, die sich mir auf den ersten Schluck erschließen. Steady-Unterstützer können auf die komplette Liste zugreifen. Nicht alle Produzenten nehmen an der Veranstaltung teil, vor allem die ganz großen Namen, die sowieso nichts zu verkaufen haben beziehungsweise keine neuen Märkte und Kunden suchen, sparen sich den Aufwand.
Roero 2023
Neun Weine stehen an. Drei springen mich als besonders an. Wie üblich bedeutet das nicht, dass die anderen sechs nichts taugen. Sie sprechen nur gerade nicht so zu mir, dass ich mich traue zu wiederholen, was sie erzählen. Bosco Samueles Wein aus Priocca hat eine wahnsinnig saftige Frucht, aber sowas von bezaubernd, Kirsche und Erdbeere und Himbeere, dann kräftige Säure, feines Tannin, gar nicht mal so viel und kaum vernehmbares Holz. Sehr elegant. Wow. Bric Castelvej aus Canale in der Nase blumig und mit viel Vanille. Die Frucht am Gaumen ist ein hübscher Beerenmix, etwas Tabak, feine Säure, sehr cremige Anmutung mit feinem Tannin im Abgang. Ziemlich toll. Malabaila di Canales ‚Bric Volta’ hat eine Rumtopfnase, startet auch als Rumtopf, hellt dann auf mit schöner Säure, dezentem Holz und sehr feinem Tannin bei enormer Länge. Dreht nach hinten auf. Mag ich sehr.
Barbaresco 2023
Das kleine Geschwisterkind des Barolo kommt immer etwas früher auf den Markt. Heute stehen daher 51 2023er an, wenngleich dabei eine hohe Zahl von Fassmustern ins Rennen geht. Den Anfang machte Nada Giuseppe mit dem Casot. Sehr helle und klare Frucht, feines Tannin, das strahlt ganz wunderbar, leicht duftig, macht ganz viel Spass. Pertinaces Macarini auch etwas fröhlicher in der Nase, Erdbeere und Veilchen und auch am Gaumen eine hellere Anmutung mit Erdbeere, Muskat, Holz und schöner Säure, dann kommt eine riesige Wand aus feinem Tannin. Der will länger liegen aber macht mich mächtig an. Orlando Abrigo Meruzzano mit eher zarter Nase mit Walderdbeere und Himbeere, auch am Gaumen bezaubernde Frucht, eher leise und tänzelnd, bis das Tannin zuschlägt, aber das wird sicher in ein paar Jahren seinen Beitrag leisten, weil es fein ist. Den finde ich ganz wunderbar.
Eine Nase zum verlieben mit allem, was das Lehbuch hergibt, inklusive Rosen bei Montaribaldis Pajorè. Auch am Gaumen blumig, sogar zart, obwohl ausreichend Druck da ist. Gute Säure, nobles Tannin, Anlagen zu Größe. Beeindruckt mich. Die Nase von Luigi Oddero e Figlis Rombone ist eher würzig-animalisch, der Gaumen seriös, kräftig, eher schwer, aber auch das kann sehr überzeugend sein. Valeirano von Ada Nada hat intensiv Knollensellerie in der Nase, am Gaumen beeindruckende Frucht, fantastische Säure, feines Tannin, interessant. Basarin von Luisin ist auch nicht der klarste, aber hier passt die leicht gekochte Aromatik gut zum feinen, cremigen Mundgefühl mit dem sehr edlen Tannin. Das ist raffiniert und richtig anziehend. Bei Moccagattas Wein aus gleicher Herkunft hat die Nase einen etwas unangenehmen Muffton, am Gaumen startet der Wein wuchtig und fächert dann komplex auf, auch wenn das Holz noch etwas dazwischenfunkt, finde ich das aufregend. Gaia-Principe von Millevite hat eine angenehm blumige Nase. Sehr saftiger Antrunk, Klarheit in der Frucht, Zug in der Säure und Feinheit im Tannin. Der überstrahlt den Rest seines Flights um Längen.
Pietro Rinaldis San Cristoforo zeigt schöne Holzwürze in der Nase, am Gaumen alles drin und darn, weich, nicht so tanninstark, aber tatsächlich lecker. Ebenfalls aus der Kategorie: anziehend, ohne dass ich es genau begründen könnte, ist der Serraboella von Fontanabianca. Säure und Tannin bilden ein wunderbares Gerüst für einen Aromenmix, der mich sehr anspricht, auch wieder mit etwas alkoholischer Wärne, die ich hier als angenehm empfinde (was viel mehr Worte sind, aber auch vor allem ‚lecker‘ meint). Extrem viel Veilchen und Lavendel in der Nase des Perelisa von Quila, am Gaumen leichte Frucht, Erdbeere wie aus dem Lehrbuch, sehr lebendig, sehr feines Tannin, kaum Würznoten. Interessant, aber da muss in der Reife noch ein bisschen was Würziges kommen. Dann wird das besonders. Beim Duicrü von Roberto Taverna mag ich die Klarheit in der Frucht und die feine Säure, das Tannin baut sich als massive Wand auf, zeigt aber Feinheit. Das könnte richtig groß werden. Kirsche und Leder in der Nase, des Ovello von Chicco. Saftiger, leicht dunkelwürziger Gaumen mit knackiger Kirsche, feines Tannin, etwas alkoholische Wärme. Ein Wein für den Winterabend. Mag ich! Der gleiche Wein von Cascina Morassino di Bianco Roberto ist auch eher saftig, knackig, kirschig, aber heller, klarer und lebendiger und deswegen vielleicht auch noch ein bisschen besser (außer vor dem Kamin!). Der kleine Rosen-Kick ruft nach Essen. Festessen. (Oh wow, wird mit jedem Schluck besser). Normalerweise ist ein Wein wie der Rabaja von Giuseppe Cortese nach so einer Granate chancenlos, aber hier hält einer mit: Auch knackig und in der Kirschwelt beheimatet, mit noch kräftigerer Säure und etwas Süße, inklusive kleinem Marzipantönchen, feinstem Tannin und so viel Leben. Was für ein schöner Flight.
Ein Fruchtfest in der Nase des Ronchi von Albino Rocca mit leicht blumigen Beiklang und einem schon leicht würzigem Finale. Schöne Säure, feines Tannin. Das hat viel Potenzial. Alessandro Rivettos Barbaresco hat eine Erd-Himbeermixmarmeladennase mit (zum Glück) etwas Holzwürze. Am Gaumen packt früh sehr viel sehr feines Tannin zu, die Säure passt, Ansätze zur Komplexität sind schon da. Finde ich bockstark. Bricco Grillis Battaglio ist um Längen besser als der Rest seines eher müden Flights. Blumig-frische Nase, heller Gaumen mit schöner Säure. Das tanzt und singt. Sensationell. Auch Cantina Floris Wein hat keinen Namenszusatz auf dem Etikett. Wunderbare Balance aus roten Früchten, leicht dunkler Würze und blumigen Aromen in Nase und Mund mit ganz wunderbarer Struktur aus toller Säure, feinem Tannin und minimaler alkoholischer Wärme. Die Bilderbuchbeschreibung eines wunderbaren Nebbiolo – genau wie dieser Wein. Last but not least La casa in collina von Vite Colte: Lavendel, Kirsche und Beeren in der Nase, saftiger Gaumen mit etwas Leder, würzig-fruchtiges Finale mit schönem Tannin. Sehr gut und ein würdiger Abschluss der Kategorie.
Roero Riserva 2022
Carlo Casettas Riserva Fil ist durch und durch blumig mit Veilchen und Lavendel und nur ein wenig Frucht, auch am Gaumen leicht und duftig, allerdings mit Substanz und Struktur. Sehr schön. Die Riserva Panera Alta von Bric Castelvej ist eher üppig, ausladend, balsamisch und holzgeprägt, aber auch mit Spannung und Struktur. Finde ich sehr anders als das bisher Gezeigte und sehr interessant, mag aber vermutlich nicht jeder. Der „Castelletto“ von Malabaila di Canale riecht ein bisschen nach frischen weißen (grünen) Trauben, wirkt am Gaumen knackig, lebendig, klar, mit schönem Holz und viel Spannung. Mag ich.
Barbaresco Riserva 2021
„Ultimo degli onesti“ von Mustela hat massig Tannin der extrafeinen Sorte, was aber die wundervolle Frucht nicht ganz zum Schweigen bringen kann. Braucht noch Zeit, wird aber sicher schön. Zigarrenkistennase beim Casmar von Nada Giuseppe, dazu saftige Kirsche, etwas Süßholz, viel Spannung am Gaumen, sehr feines, weiches Tannin. Gute Länge, toller Wein. Beim Basarin Vigna Gianmatè von Giacosa Fratelli finde ich die Kaffeenote vom Holz noch etwas störend, aber die Frucht ist betörend, die Struktur schön und die Tannine sind großartig. Das wird was. Rivetti Riserva Il Pilone von Cascina Vano: Ausgewogene Nase, auch am Gaumen gute Balance von strahlender (Kirsch-)Frucht und Holz und Würze und ersten Reifetönen. Säure und Tannin passt. Sehr gut. Leicht stallige Nase hingegen beim Gaiun Martinenga der Tenute Cisa Asinari dei Marchesi di Gresy. Saftige, klare und knackige Frucht, saftige Textur, Reste von Neuholzaromen, edles Tannin und passende Säure. Finde ich ganz toll. Rizzi von Manera mit Zigarrenkiste und Veilchen und Frucht in der Nase, leicht dunkelwürzig am Gaumen, dazu sehr knackige Frucht, allerfeinstes Tannin. Bilderbuch!
Barolo Riserva 2020
Cavallottos Bricco Boschis Riserva Vigna San Guiseppe hat eine würzige Nase, ist leicht animalisch, am Gaumen würzig, dunkelfruchtig, tief, auch das Tannin ist eher packend, was sehr gut passt. Gefällt mir extrem gut, braucht aber noch lange. Nochmal Giacosa Fratelli, der Scarrone Vigna Mandorlo Riserva ist durchaus ähnlich, vielleicht ein wenig heller als der Cavallotto, eher erdig als animalisch, aber sonst geht das in eine ähnliche Richtung. Nach hinten raus etwas süßer, charmanter, aber nicht unbedingt besser. Boschetti von Gomba ist der fruchtigste unter den Barolos und auch der charmanteste, aber das ist nicht mit ‚einfach‘ zu verwechseln. Tänzelnd, tief, sehr viel Potenzial, wunderbar. Bussia von Costa di Bussia Tenuta Arnulfo ist stark! Zwar schon leicht balsamisch und auch farblich fortgeschritten, aber das Tannin ist wunderbar griffig, die Frucht süß und ausladend, die Säure passend und dann kommen sehr komplex-würzige Noten und ein sehr langer Abgang. Würdiger Abschluss der San Bernardo von Palladino: Fruchtige Nase mit dunkler Würze, am Gaumen satte, klare Frucht, tolle Säure und eine Wagenladung voll feinem Tannin. Hat sehr viele sehr gute Anlagen.
Das hat viel Spaß gemacht und geht morgen mit 92 Barolo aus 2022 weiter.
Wie üblich stelle ich Steady-Unterstützern hier meine Arbeitsmappe zur Verfügung und wie üblich bitte ich darum, diese vertraulich zu behandeln. Für alle, die diese das erste mal nützen, der Term ‚mmm‘ heißt müsste man mal (ausführlicher Verkosten, um ein fundiertes Urteil abzugeben). Viel Spaß und Danke für die Unterstützung.



