Weißburgunder Weißer Burgunder Pinot Bianco

Weißburgunder total

Weißburgunder stand auf der Agenda des zweiten Proof Pudding Fridays – Blind und offen, national und international, allein und in Cuvées, Stahl und Holz, orange und traditionell. Vor allem aber: in der kompletten Bandbreite von 6,80 bis 100 Euro. Und mindestens einer der Weine sorgte für absolute Stille im Raum, jene Stille, die nur die monumentale Weine zu erzeugen vermögen.

Weißburgunder oder Weißer Burgunder – das ist meine Unsicherheit. Sehen Sie mir den Kuddelmuddel nach. Mein Kellerbuch ist geordneter. Es zeigt: In meinem Bestand ist Weißburgunder die zweithäufigste Weißweinsorte nach Riesling, vor Silvaner und Veltliner, obwohl ich die für erheblich edler halte. Für solcherlei objektiv nicht begründbare Zuneigung hat der Volksmund eine Bezeichnung: Liebe! Damit einher geht eine gewisse Expertise. Ich habe von den wichtigsten Erzeugern der Rebsorte erhebliche Mengen getrunken, in alt und jung, mit und ohne Essensbegleitung, analytisch wie beiläufig.

Weißburgunder – nie ganz groß

Drei Eigenheiten haben sich dabei in meinem Bewusstsein verfestigt: Ganz große Weine schafft die Rebsorte nicht. Auch ist sie nicht so nuanciert, dass man sie in der klassischen Dreifaltigkeit von Gutswein, Ortswein, Lagenwein ausbauen müsste. Basis und Reserve reicht vollkommen. Und die besten Weißen Burgunder entstehen in Deutschland. Alle anderen machen Zechweine draus – die besten Südtiroler spielen in der gehobenen Liga, nicht aber auf dem Niveau deutscher GGs.

Das Gegenteil von Gut ist gut gemeint. Und das Gegenteil des Experten ist nicht der Trottel, sondern der selbsternannte Experte. Damit mir das nicht passiert, gibt es den Proof Pudding Friday. Da locke ich kompetente Mit-Trinker damit, dass ich sehr besondere Weine mit ihnen trinken will, lasse Sie aber auch blind Weine probieren, bei deren Beurteilung sie mir den Spiegel vorhalten sollen, auf dass sich mein ‚Expertentum‘ nicht von der Realität entfernt.

Es waren nur zwei Flights, die meine Gäste bewältigen mussten. Zum einen drei Weißburgunder vom Weingut Jülg. Diese keltern Gutswein, Ortswein und Lagenwein, wobei der ‚Ortswein‘ nicht so heißt, sondern eine Selektion von Kalkmergel-Böden ist. Von kaltvergorenem Edelstahl bis Tonneau ist alles dabei. Der einfache ist gefällig, aber nicht mit schamlosem Zuckerschwänzchen gepimpt und der Lagenwein ist tief, aber kein höher, schneller, weiter Mastschwein. Als ich das vor zwei Jahren bei der ‚Generation Riesling‘ das erste Mal im Glas hatte, machte es mich nachdenklich. Ein Jahr später auf der ProWein dachte ich, die Dreifaltigkeit hat Berechtigung. Was würden die Gäste sagen?

Weißer Burgunder – wollt Ihr den totalen Flight?

Der zweite Flight ist schneller erklärt: die vermutlich teuersten Weißburgunder der Welt! Das ist zum einen der Raritá von der Cantina Terlan (100 Euro). Die Terlaner haben eine Bibliothek von alten Weinen, die teils seit Jahrzehnten auf der Feinhefe im Edelstahltank reifen. Mit dem Pinot Bianco 2004 ist zum zweiten Mal (nach dem 2002er) ein Weißer Burgunder (2015 gefüllt) in der Serie erschienen. Was ihn so teuer macht, ist eher das ‚Raritá‘ auf dem Etikett als die Rebsorte. Dazu der ‚Sanctissimus‘ der Kellerei St. Pauls. Der kostet 70 Euro und könnte der teuerste regelmäßig produzierte Weißburgunder sein.Time will tell: der verkostete 2013er ist der Jungfernjahrgang. Beide Weine sind gleichzeitig eine Art Fehdehandschuh: ‚Liebe Deutsche, die Weißburgundermusik spielt ab sofort in Südtirol.‘ Komplettieren sollte den Flight daher ein deutsches GG. Ich entschied mich für das 2009er Mandelberg GG von Dr. Wehrheim. Offenlegung: die drei Jülgs und die Südtiroler waren von den Produzenten zur Verfügung gestellte Requisiten für eine Folge der Webweinschule, der Wehrheim ein gekaufter Wein aus eigenem Bestand.

Die Jury bestand aus fünf kompetenten Weinfreunden. Unter ihnen Friedrich Jülg, jüngster Sproß des Weinguts, der in Berlin lebt. Er wusste bezüglich Flight 1 bescheid und hielt sich zurück. Ich wusste bescheid und betete ein bisschen. Das Feedback, das er zu den Weinen seines Bruders und Vaters bekam, war ungeschminkt und manchmal zuckte ich zusammen, während er schmunzelte – definitiv besser als andersrum.

Das Ergebnis von Flight 1 war eine schwere Geburt. Im vollkommenen Blindflug war der Unterschied zwischen gefälligem Gutsweißburgunder als eine Art Riesling-Ersatz für Säureallergiker und dem überaus filigranen Lagenwein zu krass, als dass irgendjemand gesagt hätte: Das sind drei Qualitätsstufen des Weißburgunders aus einem Haus. Nachdem ich ein paar Details offengelegt hatte, stellte sich Einigkeit ein: Das funktioniert. Gutswein als Leckerli, ein Ortswein der herausarbeitet, dass Weißburgunder von Kalklagen auch mit vergleichsweise niedrigen Säurewerten enorm Zug entwickelt und dann ein holzfassausgebauter Sonnenberg von der französischen Seite, der die Meisterschaft der Jülgs mit dieser Sorte demonstriert. Im Detail notierte ich:

Jülg, Weißburgunder Gutswein, 2015, Pfalz. Frische, fruchtige Nase: grüner Apfel und Hefe. Am Gaumen ordentliche Säure, schöne Frucht (wieder grüner Apfel), ein ganz bisschen Zucker, saftig, schöne Länge. Läuft! Was für mich ein Kriterium in dieser Liga ist.

Jülg, Weißburgunder Kalkmergel, 2015, Pfalz. Leicht würzige Nase, wieder mit Apfel, dazu etwas Zitrus, aber gepuffert von Kräutern und Würze. Am Gaumen schöne süße Frucht (eher kein Restzucker, aber ich kenne die Analysewerte nicht), wieder sehr kräutrig-würzig, dazu kreidig, kalkig, vibrierend, erstaunlich lang. Zechwein für Anspruchsvolle.

Jülg, Weißburgunder Sonnenberg, 2015, Pfalz. Sehr süße Nase mit Melone und etwas Holz. Am Gaumen stoffig, saftig, süße Frucht, Tiefe ohne übertriebenen Druck, etwas Alkohol, stramme Säure, trotzdem eher warm, im Abgang dann mineralisch, minimales Holz (gekonnt), sehr guter Wein.

Sie verzeihen die kargen Notizen, aber wenn ich Gastgeber bin, kommt das Notieren schon mal zu kurz.

Sanctissimus – Pinot Bianco in neuer Dimension

Den zweiten Flight leitete ich mit den Worten ein, hier handle es sich um Weine mit dem Anspruch zu den gehobenen, wenn nicht gar zu den großen Weißweinen der Welt zu gehören – zwei Länder, zwei Jahrzehnte, rebsortenrein.

Den Anfang machte der Sanctissimus. Den hatte ich mittags doppelt dekantiert, neun Stunden später dann serviert. Als zweites kam der Wehrheim, den ich lediglich 15 Minuten vorher doppelt dekantiert hatte, ebenso wie den ‚Raritá‘, der als letztes ins Glas kam.

Und der Sanctissimus lieferte, war fein bis zum Anschlag und wurde sofort als großer Chardonnay aus dem Burgund erkannt. Weißburgunder und Chardonnay sind enge Verwandte, die ähnliche Reaktion auf den Ausbau im neuen, kleinen Holz zeigen: Sie werden buttrig, ölig, nussig, erinnern manchmal gar an Nutella. Die besten Chardonnays nehmen vom Holz das Feine mit, und lassen das Plakative liegen. Der Sanctissimus war in dieser Hinsicht der erste Weißburgunder in meinem Glas, der sich wie ein großer Chardonnay benahm. Damit war die falsche Fährte gelegt. Alle Juroren, von mir genötigt ihre Eindrücke niederzuschreiben, notierten Chardonnay als Rebsorte für den Flight sowie Deutschland und Frankreich als Ursprung. Meine Eindrücke im Detail:

Weißer Burgunder Sanctissiums
Hat Kuhns Kirschgarten GG aus der Lampe verdrängt: der Sanctissimus

Kellerei St. Pauls, Pinot Bianco ‚Sanctissimus‘ 2013, Südtirol. In der Nase feines Holz, Kernobst, würzig. Am Gaumen: was für eine Struktur!!! Schöne Säure, deutliches, aber sehr feines Holz, sehr filigran, tänzelnd, erinnert an große Burgunder, etwas buttrig, cremig, Karamell, aber unglaublich komplex und elegant, nie plakativ. 13,5% Alkohol vollständig integriert. Macht sprachlos/stopft sechs plappernden Weinfreaks das Maul!

Dr. Wehrheim, Weißburgunder GG ‚Mandelberg‘, 2009, Pfalz. In der Nase sehr reife (überreife) Frucht, aber kaum Alterungsnoten, taufrisch, dezentes Holz. Am Gaumen voll, fett, irre druckvoll super süß, 14,5% Alkohol sind süß aber nicht brandig. Sehr tief. Will man nur ein Glas von trinken, aber das ist dann ein Feuerwerk. Würzig, minutenlanger Abgang. Ich muss an Dahls/Spielbergs Big Friendly Giant denken.

Cantina Terlan, Pinot Bianco 2004 ‚Raritá‘, Südtirol. Sehr mineralisch würzige Nase, etwas Holz (was vermutlich kein Holz ist, nach 10 Jahren im Stahltank). Am Gaumen schöne Säure, fantastische Textur, cremig aber nicht (zu) ölig, Alkohol bestens eingebunden (13,5%), erstaunlich frisch, würzig, ergreifend, tief und so zupackend würzig! Honigmelone, Birne, fleischig hoch drei (was viel mit Hefeextrakt zu tun hat, aber wer will bei so einem Wein schon technisch werden). Hat Trinkfluss ohne Ende.

In der freien Nachprobe war der Sanctissimus sofort leer, der ‚Raritá’ als zweites. Der Wehrheim funktionierte zum Essen (Risotto mit Räucherlachs) erstaunlich gut und wurde auch ausgetrunken. Er konnte zwar nicht mithalten, bot aber für seine gerade 26 Euro einen hervorragenden Weinwert. Der Raritá, spielte in der Liga der besten Weißburgunder, die ich bis dahin getrunken hatte. Der Sanctissimus allerdings stößt vor in eine neue Dimension, die Weißburgunder bisher nicht erreicht hat. Das ist sogar für 70 Euro ein Schnäppchen, denn er ist – ich erlaube mir einen Superlativ – der beste Weißburgunder der Welt.

5 Gedanken zu „Weißburgunder total“

  1. Guten Morgen,
    Bin zufällig über die Weißburgunder-Verkostung gestolpert, die beiden besten Weißburgunder, die ich kenne, sind der Hölzlein von Richard Östreicher (gerne 2016 oder 2018) sowie die Fassreserve 2007 Große STKLage vom Sattlerhof.
    Beste Grüße
    Christoph

  2. Hattest Du andere Jahrgänge vom Sanctissimus im Glas? Den 2015er fand ich vor 3 Monaten zwar ganz schön, aber nicht ganz überzeugend, erst recht in Relation zum Preis.

    Die besten Weißburgunder sind für mich – mit Abstand! – die Rebholz-GG. Zuvorderst Mandelberg 2017 (ja, Babymord! Aber nicht verkehrt…). Den gab es natürlich noch nicht zur Zeit Deines Posts, und vom allumfassenden Vergleich bin ich auch weit weg.

    1. Nein, nie wieder im Glas gehabt, aber mehrfach über Folgejahrgänge das gehört, was Du auch schreibst. Auch alle anderen Eindrücke von Weinen dieses Erzeugers deuten darauf, dass das ein Lucky Punch war. Ich bin auch Rebholz-Fan, was sich hier https://www.schnutentunker.de/der-beste-weisburgunder-der-welt/ schon andeutet. Der Winzer selbst war auch bei diesem Tasting anwesend https://www.schnutentunker.de/prieler-leithaberg-dac-pinot-blanc/ wo sich weitere Spitzenkräfte präsentieren konnten. Wer mich mittlerweile nachhaltig beeindruckt hat – in allen Preisregionen – ist die Cantina Kaltern. https://www.schnutentunker.de/fuer-pinot-flieg-ich-meilenweit/
      Hier im Blog sträflich vernachlässigt und IMHO Weltklasse ist übrigens Weissburgunder von Boris Kranz! Theo Minges ist auch auf der Überholspur.

  3. Sehr spannend, reg zum Nachmachen an! Was waren bei Flight 1 die ursprünglichen Tipps der Verkoster?
    Dann freue ich mich schon mal auf das Weißburgunder-Video zur Webweinschule =)

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