Solter Dosage Trilogie

Süß macht lustig

Viele meiner Freunde und Bekannten trinken regelmäßig guten Wein. Manche posten dann Fotos und Notizen in den gängigen Social-Media-Kanälen. Gelegentlich langweilt mich das (sage ich im vollen Bewusstsein Steine im Glashaus zu werfen), überwiegend unterhalten oder freuen mich die Bilder jedoch. Neulich erweckte ein solcher Beitrag ein ganz seltenes Gefühl: puren Neid! Und ich reagierte, wie ich noch nie reagiert habe: Ich bat den Bilder postenden Händler um Muster für das Blog, gekoppelt an die Zusage, über die Weine zu schreiben. 

Ich schreibe hier nur über Weine, die mir gefallen, kannte die Weine nicht und konnte also nicht sicher sein, dass sie mir munden. Trotzdem hatte ich kein schlechtes Gewissen. Ob mir die Weine gefallen würden, war nämlich vollkommen egal. Womit wir beim Grund für meinen Neid wären: Es waren keine Bilder von seltenen Edelweinen, es ging um eine Lehrprobe. Und übers Lernen kann ich auch schreiben, wenn die Lernobjekte schlecht sind. Dass sie das aber nicht sein würden, durfte ich vermuten. Genug der kryptischen Vorrede.

Axel Eisenkopf, Weinhändler aus Hofheim hat eine spannende Frage ganz praktisch beantwortet. Die Frage war: Welchen Einfluss hat eigentlich die Dosage eines flaschenvergorenen Schaumweins auf das Getränk außer der Beeinflussung des Süßegrades? Die praktische Antwort: einfach mal ceteris paribus den Süßegrad variieren. Also kaufte Eisenkopf die ganze Charge eines Schaumweines und ließ sich einen ersten Teil davon degorgieren und in drei verschiedenen Süßegraden dosieren, zum gleichen Zeitpunkt, weswegen nicht nur Ausgangswein, sondern auch die Dauer des Hefelagers identisch waren. Der Sekt, den er kaufte, stammt vom Sekthaus Solter, ein Lagensekt aus dem Rüdesheimer Berg Roseneck – und damit ein Sekt, zu dem ich eine besondere Beziehung und von dem ich diverse Jahrgänge getrunken habe.

Dosage – mehr als nur Zuckerguss

Null, drei und siebeneinhalb Gramm pro Liter lauten die Restzuckerangaben für die drei Schaumweine, die damit die Bezeichnungen brut nature, extra brut und brut tragen dürfen. Den Social-Media-Nachrichten nach zu urteilen, sollten sie sich in mehr als nur dem Süßegrad unterscheiden. Aber im Zeitalter von Fake News musste ich das selbstverständlich überprüfen.

Ich lud mir Freunde ein und servierte die Weine blind. Dabei bat ich einen der Probanden vorher, die verdeckten Weine noch einmal zu vertauschen, damit ich wenigstens hinsichtlich der Zuckerwerte im Argen war. Allerdings probierte ich unter Streß, denn ich produzierte parallel für die Webweinschule ein Video über die Verkostung, denn dies ist ein seltenes Thema, das Anfänger wie Freaks gleichermaßen faszinieren könnte. Meine Notizen zu den Weinen waren kurz:

Wein 1: Klassische Nase eines flaschenvergorenen Schaumweines mit etwas Brioche, feiner Frucht und leichten Röstaromen, wenn man weiß, dass es Riesling ist, dann ist man schnell bei Aprikose, meine Mitstreiter taten sich schwerer. Am Gaumen erst etwas unruhig, wird rasch cremig, leicht nussig und mit schöner Süße. Feine Perlage, angenehme Länge.

Wein 2: In der Nase dem ersten ähnlich, aber etwas weicher (Marzipan?) und fruchtiger. Am Gaumen nicht ganz so klar konturiert wie 1, etwas süßlich und vergleichsweise einfach.

Wein 3: die schönste Nase der drei, richtig aristokratisch, ein lange gereifter Schaumwein. Am Gaumen sehr frisch und mit deutlichem Zug, zitrisch oder besser Zitrus-fruchtig.

Aromen am Siedepunkt

Die Unterschiede wurden mit der Zeit deutlicher, was mir durchaus logisch erschien. Wenn ich in identischen Sekt unterschiedliche Mengen Zucker schütte, ändern sich Viskosität, Siedepunkt und Wärmekapazität, mit anderen Worten, identische Mengen bei identischer Temperatur in identische Gläser eingeschenkt erwärmen sich unterschiedlich schnell, was bei flüchtigen Aromen entsprechend für einen Unterschied in der Wahrnehmung sorgen könnte, so meine Interpretation des Vorgangs.

SektprobeMeinen Mitverkostern hatte ich lediglich erklärt, diese drei Weine hätten Gemeinsamkeiten; ob sie die benennen könnten? Konnten Sie nicht. Einer tippte auf gleiches Jahr, einer auf gleiche Herkunft und identische Rebsortenzusammensetzung, einer auf einheitliche Herkunft. Näher kam niemand ran. Die Weine unterscheiden sich tatsächlich ganz erheblich. Also klärte ich meine Freunde auf, ließ jedoch die Pappen auf den Flaschen. Im zweiten Durchgang sollte jetzt jeder sagen, welches der brut, extra brut oder brut nature war. Einem gelang dies, zwei lagen daneben.

Und ich? Ich machte einen dämlichen Fehler, den ich mir zu vermeiden stets vornehme und doch so oft nicht schaffe: ich nahm noch mal schnell einen Probeschluck und warf dann meine Zuckerprognose hin – die komplett falsch war. Dabei hätte ich doch nur meine Notizen lesen müssen, da hätte ich zumindest ohne zu zögern den dritten als den Brut Nature benannt, der er auch war. Bei eins und zwei hätte ich mich wohl vertan, denn der erste war der brut und der zweite, anfänglich etwas weichere enthielt 3 Gramm Restzucker pro Liter.

Sekthaus Solter, Rüdesheimer Berg Roseneck, Riesling Sekt (zero dosage, extra brut, brut), 2011, Rheingau. Ein sehr sehr guter Schaumwein, der in dieser Bündelung für ungeahntes Entertainment sorgt.

P.S. Dann kam zu später Stunde der Freund vorbei, der eigentlich krankheitsbedingt abgesagt hatte. Fieberfrei und schwer gelangweilt hatte er sich entschlossen noch etwas frische Luft zu schnappen, was ihn – ganz zufällig – bei mir vorbei führte. Er setzte sich, probierte, konsequent ausspuckend, mit völlig verschlossener Nase die drei Sekte in rascher Reihenfolge und kommentierte: ‚Also bis auf das die unterschiedlich süß sind, schmecke ich da keinen Unterschied!‘ Die Interpretation überlasse ich Ihnen.

P.P.S. Das Paket gibt es noch zu kaufen, falls Sie das nachmachen wollen, was ich Ihnen empfehle, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ich dafür kein Geld erhalte. Hier geht’s zu Axels Shop.

P.P.P.S. Falls Sie trotzdem noch Angst vor Fake News haben, finden Sie hier den Videobeweis.

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