Mein erster Pinot Noir

‚Ohje, Opa erzählt vom Krieg!‘ mag manch Leser jetzt denken. Will der uns wirklich von seiner ersten Flasche Spätburgunder berichten? Vermutlich war’s ein Untertürkheimer Bratschenberg Spätburgunder lieblich von der Tankstelle und ein Picknick mit einem hübschen Mädchen an einem lauen Sommerabend und… HALT. Dies ist kein Blog für Altherrenphantasien und ich will auch gar nicht von meiner ersten Flasche Spätburgunder schreiben. Berichten muss ich von meiner ersten Begegnung mit Friedrich Beckers ‚Pinot Noir‘ Tafelwein, jenem fast mythisch verklärtem Wunderstoff, der sieben Mal in Folge vom Gault Millau zum besten Spätburgunder Deutschlands gekürt wurde, jenem 90-Euro-Geschoss, dass vielen als Keimzelle des Deutschen Pinot-Booms gilt.

Der ‚Pinot Noir‘ von Becker wird als Tafelwein gefüllt – seit jeher. Ursprünglich war das wohl eine Notwendigkeit, weil die Verwendung von Barrique-Fässern beim Ausbau deutscher Weine einige Zeit nicht den Segen der Weinkontrolle fand und die Füllung als Tafelwein eine Möglichkeit darstellt, die Weinkontrolle zu umgehen – aber das ist kein gesichertes Wissen, sondern Hörensagen. Mittlerweile gäbe es keine Probleme mit der Behörde, aber vielleicht genießt Herr Becker eine stille Rache, indem er den Weinkontrolleuren einfach diesen Zauberstoff vorenthält: Keine Prüfung, keine Musterproben.

Den ‚Pinot Noir‘ zu bekommen ist kein schwieriges Unterfangen. Ganz ohne Subskription erhält man ihn bequem auch Wochen und Monate nach Erscheinen noch bei vielen Händlern. Ich kaufte meine Flasche bei Erscheinen irgendwann 2007 und genoss seitdem die Vorfreude. Letzte Woche feierte ich die zwischenzeitliche Wiederkehr des Sommers mit diesem Wein zu einem Grillabend mit Lamm, Geflügel, Tomatensalat und einem ordentlichen Weißbrot – 22 Grad Lufttemperatur und den Wein bei 17 Grad serviert, lediglich eine Stunde im Dekanter, zwei Mitstreiter mussten blind mittrinken und waren vor Verzückung gelähmt. Ich war zwar wissend, konnte mich aber auch nicht mehr bewegen: ohne wenn und aber mein bisher größtes Rotweinerlebnis.

Becker, ‚Pinot Noir‘, Deutscher Tafelwein Rhein, 2005, (Pfalz). Die Nase ist wahnsinnig intensiv und sehr typisch. Auch wenn der Schwerpunkt auf rohem Fleisch (Tartar) und Kirschfrucht liegt, ist der Wein in der Nase weich und sehr anziehend (ich versuche, die bescheuerte Phrase ‚die Nase ist wahnsinnig sexy‘ zu umschiffen). Am Gaumen ist der Wein von einer geradezu kristallinen Struktur. Alles ist an seinem Platz: straffe Säure, moderates Tannin, dezent in Erscheinung tretender Holzausbau, wieder diese recht animalischen Aromen von rohem Fleisch, satte Kirschfrucht, Bleistift, rote Beeren. Der Nachhall ist vielschichtig, komplex, ultralang. Und wieder fällt mir nur ein Wort ein, dass ich gewöhnlich vermeide: präzise. Dieser Wein ist so präzise, dass ich glatt die Scheu verliere, das Wort zu benutzen. 100 Punkte.

Füllwein (16)

Nicht nur die Deutsche Nationalmannschaft hat mal einen schlechten Tag. Auch zwei meiner erklärten Lieblingswinzer ziehen mal was auf die Flasche, was mich nicht von den Socken haut. Das sind immer noch exzellente Weine aber nicht von der Brillianz, die ich von ihnen gewohnt bin. Ein relativer Nobody (hier im Schnutentunker aber schon mehrfach vertreten) konnte hingegen bezaubern.

Knipser, Kalkmergel, Chardonnay & Weissburgunder, 2004, Pfalz. In der Nase stören zunächst deutliche Alterstöne, regelrecht muffig ist der Wein. Nach einiger Zeit verfliegen diese Aromen. Der Wein verträgt noch einige Stunden Luft, ist eigentlich erst am zweiten Tag ein echtes Vergnügen. Dann in der Nase noch recht viel Holz, etwas Nuss, ein bisschen Birne aber insgesamt wenig Frucht. Am Gaumen ebenfalls noch spürbare Holzprägung, dazu buttrig, ziemlich mild in der Säure, typische Chardonnay-Aromen. Das ist ein angenehm gereifter holzlastiger Weißwein, der viel Genuss bietet aber nicht an Knipsers reinsortige Chardonnay-Auslesen heranreicht.

R.&C. Schneider, Sauvignon Blanc Spätlese ***, 2008, Baden. In der Nase buttrig und leicht böcksrig (also mit einem leichten Schwefelwasserstoffstinker), Jogurt, Grapefruit, minimal grüne Noten. Am Gaumen zeigt sich eine pikante Säure, die aber nicht zu dominant daherkommt. Der Wein ist relativ stoffig, cremig, mit Aromen von Grapefruit und brauner Butter, etwas eindimensional. Langer Abgang aber der Wein lässt mich etwas ratlos zurück. War er für kurze Zeit im Holzfass? Oder ist es lediglich ein langes Hefelager, das ihn prägt? Richtige Begeisterung kommt nicht auf.

Agritiushof, Oberemmeler Agritiusberg, Riesling Spätlese feinherb, 2005, Mosel (Saar). In gewisser Weise ist der Wein eine Mogelpackung: Winzer Alfred Kirchen bezeichnet als feinherb, was gesetzlich halbtrocken ist, und 13,5 Gramm Restzucker ergeben häufig einen sensorisch trockenen Wein, wenn man sie mit 8,2 Promill Säure verheiratet und fünf Jahre auf der Flasche reifen lässt. Doch der Wein ist saftig und kommt mit so viel süßer Pfirsichfrucht daher, dass er immer noch als nicht ganz trockener Riesling erkennbar ist. In der Nase noch frisch, kein Petrol, keine Firne, dafür Quitte und Aprikose etwas vollreife Ananas, ist der Agritiusberg am Gaumen ein voluminöser, saftiger Riesling, der seiner feinen Mineralik und der kräftigen aber nicht dominanten Säure verdankt, dass er die Balance hält. Nicht zu fett, nicht anstrengend – eher raffiniert und mit Spiel sorgt der Wein für jenen magischen Moment im Glas, der bei mir die 90 Punkte definiert.

Flasche leer (2)

Die Frage, was man bei 28 Grad Abendtemperatur auf der Terrasse zum Grillgut trinkt, beantworten gesundheitsbewusste Menschen zu Recht mit Wasser (oder Apfelschorle). Ich bin nur mäßig gesundheitsbewusst und deshalb greife ich gerne zu Wein, wenngleich in sehr geringen Dosen. Aus zwei Gründen ist es meist ein etwas rustikaler Rotwein: ich kühle sie wie einen Weißwein und es bleibt immer eine größere Menge übrig, so dass der Wein Tage im Kühlschrank überdauern können oder reuelos im Essigfass entsorgbar sein muss.

Trotzdem sollen meine Grillweine nichts weniger als großartig sein. Einen solchen zu finden, ist kein einfaches Unterfangen; bei Erfolg lagere ich daher ein paar Flaschen mehr ein. Von einem meiner beiden treuen Grillbegleiter der letzten Jahre habe ich mich gestern verabschiedet.

Knipser, Blauer Spätburgunder QbA, 2002, Pfalz. Der Wein schimmert im Glas schon eher rostbraun als rot. In der Nase etwas Vanille und Erdbeermarmelade, Kirsche und auch Marzipan. Am Gaumen ein bisschen Kirsche und nur noch wenig Tannin, immer noch spürbarer Einfluss vom Holz, eine eher milde Säure (was auch an der vergleichsweise kühlen Serviertemperatur liegen mag), leichte Mineralik und gut integrierter aber spürbarer Alkohol (13,5%). Der Wein zeigt eine stimmige Balance aus Saftigkeit und Holzausbau. Der Abgang ist mittellang. Nach hinten heraus gibt es erste Ermüdungserscheinungen, weshalb der Abschied zwar schmerzt aber keine Sekunde zu früh kommt. Mach’s gut, blauer Kamerad.

Vom anderen ist auch nur noch eine Flasche da. Die vorletzte konnte letzte Woche restlos überzeugen, wie alle Vorgänger seit 2007.

Günther Steinmetz, Pinot Meunier * (im Barrique gereift), 2005, Mosel. In der Nase vermutet man eine Hochzeit von Gamay und Nebbiolo: Lavendel und Veilchen mit einer teerigen Note, dazu Kirsche, Zwetschge und Lakritz. Am Gaumen präsentiert der Rotwein sich mit der Struktur eines großen Weißweines: ein Gerüst aus Säure und Mineralik trägt die Aromen von Pflaume und Wacholder. Eine Kombination aus Röstaromen und zurückhaltendem Tannin runden den Wein ab. Sehr langer von Mineralik geprägter Abgang. Trotz eines Verkaufspreises von viel zu billigen 6 Euro konnte Steinmetz den Wein nicht recht verkaufen, es gab ihn jahrelang auf der Weinliste. Kein Wunder also, dass der Schwarzriesling mittlerweile als Blanc de Noir gekeltert wird. So bleibt es bei diesem einmaligen Geniestreich und mir noch eine letzte Flasche davon.

Zum Lachen in den Keller

Weinbeschreibungen sind keine exakte Wissenschaft – genau genommen ist das Verkosten und Beschreiben von Wein überhaupt keine Wissenschaft. Also ist bei der Wahl der Vokabeln zur Beschreibung der Sinneseindrücke und Klassifizierung der Rebsäfte eigentlich erlaubt, was gefällt. Trotzdem gibt es heftig umstrittene Begriffe, von denen ich die meisten – stockkonservativ wie ich nun einmal bin – eher selten verwende. Mit einer Ausnahme: der Spaßwein ist fester Bestandteil meines Weinkanons.

Die Diskussion kehrt in meinem Freundeskreis so regelmäßig wieder, wie sie sich dann im Kreise dreht: ‚In der Preisklasse, in der wir meistens trinken, ist das Wort Spaßwein kein Lob, da es viel zu oberflächlich vordergründig ist‘  sagen die Gegner dieses relativ neuen Begriffs; ‚Zechwein, Saufwein, Terrassenwein, Spaßwein – das ist doch alles das gleiche‘ tönt es aus ihrer Ecke; beendet wird die Diskussion meist mit dem Killerargument: ‚Jeder gute Wein macht Spaß!‘

(Fast) alles richtig! Aber nicht das, was ich meine. Hier also der Versuch einer Definition. Ein Spaßwein ist ein Wein, der das Unterbewusstsein anspricht. ‚Weinglas an Kleinhirn: Hier unten ist alles in Ordnung‘. Ein Wein, der mir das Gefühl gibt höchst ordentlichen Stoff zu mir zu nehmen, ohne dass ich unbedingt meine analytische Aufmerksamkeit auf mein Getränk lenken müsste. Täte ich dies dennoch, fände ich Typizität und Komplexität, meist mit einer gewissen Frische und Frucht verbunden. Aber es ist eben gar nicht nötig, sich eingehender damit zu beschäftigen, weil der Wein schon mit dem erste Schluck den Funkspruch absetzt: ‚Alle Mann von der Geschmackspolizei, legt Euch wieder hin‘.

Somit kann ein Spaßwein niemals 90 Punkte erlangen. Einem 90 Punkte-Wein sollte man wenigstens einmal während des Trinkens zwei Minuten ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, sonst wäre er arg ungerecht behandelt. Mindestens 84, maximal 89 Punkte, definiere ich aus der Hüfte geschossen die Skala für Spaßweine, nur um noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Spaßwein nicht bepunktet werden will.

Der Unterschied zum Terrassenwein ist simpel, der Spaßwein funktioniert auch bei tieferen Temperaturen und muss nicht unbedingt leicht sein. Dennoch räume ich ein, dass T eine Teilmenge von S sein könnte. Mit Zechweinen verbinde ich eher Weine aus der Kategorie ‚Kann man trinken, muss man aber nicht‘, welche bei mir die 80 Punkte definiert. Das macht mir selten Spaß und wird nicht in Schriftform festgehalten, das Z-Wort also nicht gebraucht. An Saufweine glaub‘ ich nicht; ich denke, diese Kategorie sollte man dort belassen, wo sie herkommt: bei den Konsumenten. Ich will zugeben, dass manche Weine stärker den Trinkfluss fördern als andere, doch richtig großen Durst bekomme ich von Salz und Chili – nicht von Wein.

Genug der Theorie, hier kommt die Praxis.

Wittmann, Scheurebe QbA, 2008, Rheinhessen. In der sehr blumigen Nase Stachelbeere, Casis und Minze. Am Gaumen sehr straff mit kräftiger Säure, ganz leicht grasiger Note und viel Frucht, Mandarine, Limette, Citrus. Mittlerer Druck, schöne Länge. Spaßwein.

Mosbacher, Sauvignon Blanc QbA, 2009, Pfalz. Eine sehr fruchtige Nase mit viel Stachel- und Johannisbeere zeigt nur leichte Spuren von Blüten und Gras. Am Gaumen mit mittlerem Volumen und sehr milder Säure ist der Wein aufgrund eines Spürbaren Restzuckers ein bisschen dropsig. Eine ebenfalls vorhandene leichte Adstringenz puffert das aber hervorragend ab. Aromen von Stachelbeere und Rhabarber prägen den Gaumen, der Abgang ist lang bis sehr lang. Kein großer Wein aber ein großer Spaß.

(P.S. Der Artikel Flasche leer (2) muss leider ausfallen. Künstlers Kirchenstück 2004 war noch schwächer als die Italienische Nationalmannschaft. Anders als bei letzterer war es beim Wein jedoch nicht das Alter sondern der Korken. So hatten sie nur eines gemeinsam: der Untergang war sang- und klanglos.)

Das Vier-Trinker-Jahr

Die Rieslingsaison ist in vollem Gange und wie Anfang des Jahres fest vorgenommen, trinke ich in den letzten Monaten verstärkt große und erste Gewächse des Jahrganges 2005. So allmählich verfestigt sich ein Bild und bestätigen sich Tendenzen. Zumindest aus Rheinhessen, der Pfalz und von der Mosel habe ich jetzt eine Zahl von Weinen getrunken, die ich repräsentativ nennen möchte, aus Baden und Franken keinen einzigen, der Rheingau war gelegentlich in meinem Glas vertreten.

Lange habe ich überlegt, wie man den Jahrgang wohl am besten beschreibt. Meine Erfahrung mit GGs in frischem wie gereiften Zustand beschränkt sich auf ein Jahrzehnt. Folgende Kategorien habe ich bisher für mich gefunden: Es gibt schlechte Jahre (2000), es gibt gute Jahre (2002), es gibt sehr gute (2007) bis große (2001 und evtl. 2009) Jahre, es gibt unterschätzte Jahre (2004 und 2008), es gibt Hitzejahre (2003) und es gibt Winzerjahre (2006), welche sich dadurch auszeichnen, dass es dem Geschick oder Glück des Winzers zuzuschreiben ist, wenn was gescheites auf die Flasche kommt, während die Masse eher maues Zeugs produziert.

2005 passt da nur bedingt hinein. Ich stelle fest, dass sich unter den besten trockenen Rieslingen, die ich in meinem Leben trinken durfte, einige 2005er tummeln. Andererseits sind viele 2005er ziemlich dick und alkoholisch. Die besseren Weine sind so komplex, dass man mehrere Anläufe braucht, um sie in Gänze zu erfassen, machen aber auch satt. Vereinfachend möchte man sagen, die 2005er spielen ihre volle Klasse erst beim vierten Schluck aus – um sie beim elften wieder einzukassieren. Deswegen werden die Weine immer besser, je mehr Mitstreiter man hat. Mit vier Personen eine Flasche zu teilen, ist ein probates Mittel gegen die Opulenz. So findet 2005 als Vier-Trinker-Jahr Eingang in meine persönliche Chronik.

Es gibt auch ‚normale‘ GGs aus 2005, so wie dieses hier:

Reichsrat von Buhl, Forster Pechstein, Riesling GG (Spätlese trocken), 2005, Pfalz. In der Nase ist der Wein etwas eindimensional mit Aromen von sehr viel Apfel und ein bisschen Pfirsich. Am Gaumen dann deutlich besser, glänzt der Wein vor allem mit Struktur: er ist voluminös und druckvoll, ohne zu fett zu sein und mit 13% auch nicht übermäßig alkoholisch. Saftige Pfirsichfrucht paart sich mit maßvoller Säure und erdig-rauchiger Mineralik. Sehr langer Abgang. 89 Punkte

Die besten GGs aus 2005, die ich trinken durfte waren wohl Kellers Kirchspiel, Emrich-Schönlebers Halenberg, Heymann-Löwensteins Uhlen ‚R‘ (naja, fast trocken) wie auch die hier schon begeistert beschriebene Karthäuserhof Auslese trocken ‚S‘. Sie können auch jetzt noch eine Stunde Luft vertragen. Daraus möchte ich aber nicht schließen, dass die 2005er weiterer Lagerung bedürfen. Wobei es auch dazu Ausnahmen gibt, wie diesen hier.

Heymann-Löwenstein, ‚Uhlen – L‘ (Winninger Uhlen – Schieferformation Laubach), Riesling 1. Lage, 2005, Mosel. Überreife Nase von Dörraprikose, Rhabarber und etwas Aloe Vera. Am Gaumen ist der Wein nur mäßig harmonisch: Süße, Säure und eine nicht zu vernachlässigende Menge von Bitter- und Gerbstoffen bestimmen das Bild ohne wirklich miteinander zu spielen. Eine gewisse Saftigkeit, Apfel- und Mango-Aromen, eine kalkige Mineralik und ein ordentlicher Abgang können den Wein teilweise retten. Das ist entweder ein Gigant zur Unzeit oder ein Wein, bei dem der Winzer etwas zu viel gewollt hat. Das möge jeder für sich entscheiden, weswegen ich mir das Bepunkten spare. Ich hoffe auf die zweite Variante.