Rantrinken (2)

Er sei ‚durch‘ mit den Grossen Gewächsen, erzählte mir mein Alter Herr dieser Tage bei einem gemeinsamen Glas Wein (jenem zuletzt beschriebenem Schönleber). Das hatte nichts mit Todesahnung zu tun, sondern war die Erkenntnis eines Mannes, der nach 50 Jahren Weinkonsum weiß, was ihm schmeckt und was nicht. In ihrer Jugend beeindruckten sie ihn mit viel Potential, fuhr er fort, doch wenn sie die nötige Reife erlangten, seien sie ihm regelmäßig zu opulent. Als Jungwein zu teuer, als reifer Wein zu fett – er belasse es jetzt bei den Spätlesen.

Tja, dachte ich bei mir: wieder einer, der sich abwendet. Irgendwann bin ich vielleicht der einzige in meinem Freundeskreis, der noch GGs trinkt (und nicht bloß verkostet). Obwohl – als es jetzt darum ging, den ersten Riesling nach Wochen zu öffnen, war mir von vornherein klar, dass das ein mittelalter, mittelgewichtiger Lagenwein oder eine trockene Spätlese sein würde. Ein gereiftes GG zu zücken, wäre mir zu viel des Guten gewesen. Dass der Wein dann gleich so stimmig war, weckt in mir die Befürchtung, ich könnte mich meinem Alten Herren früher anschließen, als meine Kellerbestände guthießen.

Dönnhoff, Felsenberg, Riesling QbA, 2007, Nahe. In der Nase Aprikose, mürber Apfel und Rhabarber, schön und sortentypisch, mit einer kleinen Reifenote. Am Gaumen sehr voll, der Wein hat viel Bumms, ohne dass er dies einer übertriebenen dienenden Restsüße verdankte. Die Säure ist akzentuiert und genau passend, 12,5% Alkohol fallen nicht negativ ins Gewicht. Aromen von Aprikose, Pistazie und eine würzige Reifenote überfluten den Gaumen, denn dieser saftige Brummer ist dichter als manch mittelmäßiges GG. Mehr Kraft muss ein Riesling gar nicht haben. Der Abgang ist sehr lang und fruchtig (Boskop). Wenn der Wein ein bisschen mehr Mineralik zu bieten hätte, wäre er groß, so ist er immer noch außergewöhnlich gut.

Was trinkt man zum Grünkohl…

…wenn es kein Bier sein soll? Die Suche nach dem richtigen Wein zu diesem irgendwie weinfeindlichen Gericht treibt mich schon eine ganze Weile um. Bei mir gibt es Grünkohl semiklassisch mit allerlei geräucherten Fleischwaren und kleinen, ganzen, etwas karamellisierten Röstkartoffeln. Das ‚semi‘ ist der Tatsache geschuldet, dass ich lieber geräucherte Putenbrust als Kasseler verwende und auch die Kohlwürste aus Geflügel sind.

Geräuchertes Fleisch und die leicht erdigen Noten des Grünkohl: Damit würde sich auf den ersten Blick ein südfranzösischer Rotwein mit Unterholz-Aromen anbieten, jedoch mag ich zu diesem Gericht nicht auf Senf verzichten. Und die Vermählung von Senf mit Rotwein steht auf meiner persönlichen Liste der Kombinations-Verbrechen auf einem unangefochtenen Spitzenplatz – noch vor der von meiner Frau gelegentlich vorgenommenen Paarung Salami mit Marmelade.

Also versuche ich es seit jeher mit Weißwein, und zwar mit solchen, die ein Holzfass von innen gesehen haben. Ein von einem Freund geschenkter ‚Cuvée de Blanc‘ von Stodden (das ist ein Riesling aus dem Barrique) passte vor Jahren ganz ordentlich, ist aber kein Wein, von dem ich ein erstes Glas als Aperitif oder ein letztes als Abschluss des Abends trinken würde. Dieses Wochenende habe ich es mit Dönnhoffs Doppelstück probiert, von dem ich im September schon kurz berichtete. Am ersten Tag hat der frisch geöffnete Wein eine überbordende Frucht gezeigt, die vor und nach dem Essen großen Spaß bereitete, die Grünkohl-Kombi bekam von mir aber als Schulnote eine Drei minus. Am Zweiten Tag zeigte der Wein mehr Holzeinfluss und passte besser – ich gebe eine glatte Zwei. Der Wein für sich verdient mindestens eine Zwei plus. Wer Bedenken gegenüber Holzfass-ausgebauten Deutschen Weinen hat, der sollte sich diesen mal als Einstiegsdroge gönnen: nicht zu dick, nicht zu alkoholisch, nicht zu holzig (das Doppelstück ist ein 2400-Liter-Fass), nicht zu ‚international‘ (oder beliebig) und vor allem: nicht zu teuer (14€).

Dönnhoff, Weißburgunder&Grauburgunder QbA ‚Doppelstück‘,2009, Nahe. Am ersten Tag entströmt dem Glas ein sehr fruchtiger Duft mit grünem Apfel, Birne und Mandarine, dazu nur ein Hauch Vanille vom Holzfassausbau. Auch am Gaumen dominiert Frucht, hier vor allem Birne und etwas Mandarine. Der Wein ist sehr balanciert: ein bisschen cremig, spürbare, harmonische Säure, leichte Mineralik und nur ein wenig Holz. Relativ langer Abgang. Am zweiten Tag zieht sich die Frucht etwas zurück und Holz- und Röstaromen werden spürbarer. Das macht den Wein nicht besser oder schlechter, sondern lediglich anders. 13% Alkohol sind zu jeder Zeit gut integriert.

Einkaufsstrategie Jahrgang 2010

Es gibt viel zu lesen dieser Tage: Gleich in mehreren deutschsprachigen Blogs, Foren und Social Networks wird erhitzt darüber debattiert, ob man den Jahrgang 2010 in Deutschland schon abschreiben könne. Winzer melden sich zu Wort und berichten von besonderem Aufwand, der belohnt wurde und von drei Wochen im Oktober, die retteten, was zu retten war. Kritiker sind zerstritten und zeihen sich gegenseitig der Erfahrungslosigkeit. Konsumenten schreien empört auf, sie könnten es nicht mehr hören, wie die Produzenten und Händler versuchten, den letzten Mist noch hochzujazzen.

Wenn ich nicht mehr weiß, was ich glauben kann oder soll, hilft es mir meist, mich auf mich selbst zu besinnen. Und wenn ich dabei ehrlich (oder sogar schonungslos) bin, bringt mich das der Lösung ein ganzes Stück näher. Wie hier schon einmal beschrieben, kaufe ich zu viel Wein. Ich bin ein Getriebener. Es treibt mich die Angst, etwas zu verpassen. Den einen Wein wieder ins Regal zurückgestellt zu haben, von dem ich jetzt in einer Zeitschrift lese, er habe das Zeug zur Legende. Also kommt beständig mehr in den Keller, als ich zum Trinken wieder entnehme.

Wenn ich mir dann noch einmal durchlese, was an Fakten zum Jahrgang zur Verfügung steht, dann ziehe ich einen freudigen Schluss: ich habe jetzt Pause.

Wenn im Jahr 2011 Vertikalverkostungen des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends anstehen, werden wir sicher Überraschungen erleben. Selbst Jahre, die alles andere als perfekt waren, haben Weine hervorgebracht, die als Meister ihres Faches gelten. Der 2004er G-Max ist dem vernehmen nach so einer, besser als die Weine aus den starken Jahren 2005 und 2007. Und es würde mich nicht wundern, wenn bei einer Morstein-Vertikale der 2008er von Wittmann ein überraschender Abräumer wird. 2001 und 2002 werden sicher ein paar Sieger stellen, Zwofünf, -sieben und -neun sowieso, 2003 vielleicht, 2006 und 2010 ganz sicher nicht.

Auch 2006 hatte objektiv schwierige Wetterbedingungen. Auch 2006 erzählten die Winzer viel von strenger Selektion und die Weinkritik startete zunächst teilweise mit recht euphorischen Kommentaren. Am Ende hatten alle diejenigen Recht, die (wie heuer viele für den Zehner) weissagten, es werde auch 2006 Spitzenweine geben aber nur ganz vereinzelt und auch nicht von überwältigender Qualität. Am Wochenende gab es bei mir einen der besten Weine aus dem Jahr (nach landläufiger und auch nach meiner Meinung).

Dönnhoff, Hermannshöhle GG, Riesling QbA, 2006, Nahe. Die Nase ist süß und sauber: Apfel, Aprikose und viel Marzipan, Aloe Vera und Vanille. Am Gaumen ist der Wein dezent fruchtig mit Grapefruit und Mandarine. Das GG ist ziemlich trocken, ziemlich vollmundig und druckvoll, wobei der Alkohol (13%) gut integriert ist. Es wirkt recht animierend, dass der Wein etwas adstringierend ist, dazu extrem mineralisch – ein sehr ernsthafter Wein mit sehr langem Abgang. Guter Speisenbegleiter auch zu kräftigerem Essen. 90 Punkte. Jetzt trinkreif aber es herrscht keine Eile.

Legenden schmecken anders. Und so denke ich mir: Von 2006 lernen, heißt Einkaufen lernen.

Also werde ich 2011 meinen paar Stammwinzern mit Mindestmengen des 2010ers die Treue halten, Magnums vollständig weglassen, die vier Vertikalen vervollständigen, die ich ohnehin sammle und das war‘s. Hoffnung, dass ich signifikant weniger in den Keller bringe als ich wieder heraushole, habe ich kaum, denn es steht ja auch die Präsentation der 2009er Spätburgunder-Gewächse an. Und da zittre ich jetzt schon vor Angst, ich könnte was verpassen…

Von der schnellen Truppe

Seit heute sind die großen Gewächse des Jahrgangs 2009 (bei Spätburgundern 2008) zum Verkauf frei gegeben. Ich war erstaunt, als ich nachhause kam und schon die ersten Pakete vorfand. Das Weingut Dönnhoff hat tatsächlich die bestellten Weine so zur Spedition gebracht, dass sie pünktlich zum Stichtag beim Kunden sein können. Das nenne ich Service.

Da fiel mir siedend heiß ein, dass ich letzte Woche einen spannenden Dönnhoff Wein getrunken habe, dessen Verkostungsnotiz ich noch online stellen wollte. Das sei hiermit getan.

Dönnhoff, Weißburgunder Stückfass (Spätlese trocken), 2006, Nahe. Der Wein hieß 2005 nur ‚S‘, dann ‚Stückfass‘ und in jüngeren Jahrgängen wieder ‚S‘. In der Nase verbrannter Toast, Birne und mit viel Schwenken auch Anklänge von Mandarine und süßlichem Blütenduft. Am Gaumen ist der Wein sehr voll, ein Kraftpaket. 13,5% brennen etwas, aber der Wein lebt auch ein bisschen davon. Denn Aromen von Birne und Haselnuss, Rauch und Holz bei einer leichten Cremigkeit können den Alkohol als Kontrapunkt gut vertragen. Der Abgang ist sehr lang und holzgeprägt. Für mich (und ich werde nicht müde zu betonen, dass ich ein Bibergebiss habe und verstehe, wenn andere das ganz anders sehen) sind das 92 Punkte im Glas.

Neuerdings gibt es von Dönnhoff auch eine Cuvée aus Weiß- und Grauburgunder aus dem Doppelstückfass. Ich bin gespannt und werde berichten.

Verborgene Talente

Wenn vom Weingut Dönnhoff die Rede ist, dreht es sich immer um Riesling. Bevorzugte Diskussionspunkte sind die Großen Gewächse, die mancher in Deutschlands Spitze wähnt, während andere sie zu geschliffen finden (im Sinne von ‚ohne Ecken und Kanten‘), oder seine Edelsüßen über die man selten anderes hört als helle Begeisterung – insbesondere seine Eisweine sollen grandios sein (das Vergnügen hatte ich noch nicht, einige Auslesen kenne ich). Verborgene Talente weiterlesen