Arroganter Sack

Stellen Sie sich vor, Sie laden einen Menschen, den Sie nur wenig kennen, zu sich nach Hause ein und dieser überreicht Ihnen sein Gastgeschenk mit den Worten ‚google mich, dann weißt Du, was das ist‘. Was würden Sie denken? ‚Arroganter Sack‘? Also ich würde denken: ‚Arroganter Sack‘!

Neulich ist mir genau das passiert, natürlich – Sie werden es erraten – in der Weinwelt. Aber ich dachte von meinem Gast nicht, dass er ein arroganter Sack wäre, dazu ist er nicht der Typ. Weinbegeistert, voller Wissen und Erfahrung und daher selbstbewusst – aber arrogant ist er nicht. Und dass er mir sein Geschenk, eine Flasche Sekt, so überreichte, hat auch damit zu tun, dass dieser nicht etikettiert war. Peter hieß  der Gast und der Sekt war von ihm, genauer gesagt vom Weingut Geschwister Bibo aber aus der Zeit, als er dort verantwortlich war.

Der Sekt ist etwas besonderes, denn wenn man Peter und seinen Sekt googlet, dann stößt man auf teils ekstatische Resonanz von Weinfreunden (und damit das so bleibt und nicht die Headline ‚Arroganter Sack‘ auf Platz eins der Suchergebnisse erscheint, habe ich seinen Nachnamen aus diesem Artikel entfernt). Insofern war die Ansage mit Google geradezu bescheiden, hätte er die Flasche doch auch mit den Worten überreichen können: Hier, der Blubber von dem der Würtz sagt, ‚…dieser Sekt ist der Wahnsinn! Ich will den trinken…JETZT!!!‘ oder dergleichen mehr. Hier findet man eine Auswahl begeisterter Statements.

Das nenne ich Farbe...Die meisten Weine, die ich hier beschreibe, habe ich über mehrere Tage getrunken, immer aber mindestens mehr als ein Glas. Dieses Prinzip kann ich dieses mal nicht einhalten, denn so schicke Sekte schenke ich doch lieber Gästen aus und dann bleibt halt nur ein Glas. Zum Glück sind die Gäste vom Fach und so ist die folgende Notiz mit Input von Julia von den Weinvibes, Paul von Drunkenmonday und Charlie von weinlagen.info entstanden.

Weingut Geschwister Bibo, ,Torheit‘ Rieslingsekt, degorgiert 2009, Rheingau. In der Nase erstaunlich fruchtig, es fehlen die typischen Hefe- oder Brioche-Noten und der Sekt riecht wie ein Stillwein, allerdings nicht unbedingt wie ein Riesling. Aprikose ist zwar da, aber er ist irgendwie zu mächtig für einen typischen Vertreter. Am Gaumen ist er sehr frisch, ausgesprochen mineralisch aber vor allem fruchtig und süß. ,Ziemlich viel Zucker‘ war ein Kommentar, der in die falsche Richtung lief (weil der Sekt ,zero dosage‘ mithin furztrocken ist) aber andererseits berechtigt scheint, denn dieser Sekt ist so voll, wie es gemeinhin nicht ganz trockene Vertreter sind. ,Der ist nicht aus Deutschland, das ist ein Chenin Blanc‘ war ein anderer Kommentar, der vollkommen richtig (aber leider total falsch) war, denn eigentlich kann nur Chenin so süß-fruchtig sein, während er doch gar keinen Restzucker aufweist. Ich fand ihn auch ein wenig rauchig, was zur üppigen Frucht passt. Feine Perlage, nussige Reife, man könnte so viel über diesen spektakulären Sekt sagen… Einer brachte es auf den Punkt: Der ist ausgesprochen gelungen – jep!

Stimmt also. Ist wahrhaft genialer Stoff  und ein tolles Geschenk. Vielen Dank dafür, aber Peter, solltest Du das hier lesen: Lass es Dir nicht zu Kopfe steigen, sonst wirst Du am Ende noch ein arroganter Sack.

Mein erstes Mal mit siebzehn

Als ich anfing mich mit Weinen zu beschäftigen, drehte sich für mich alles um die Frage, was mir schmeckt oder nicht schmeckt und vor allem, warum. Dass man Weine auch bepunkten kann, fand ich schnell heraus, da kaum ein Weinführer auf Punkte verzichtet, auf die Idee, dieses selber zu tun, kam ich zunächst nicht.

Nachdem ich ein ungefähres Koordinatensystem hatte, welches mir half, meine geschmacklichen Eindrücke in Worte zu fassen und Vorlieben und Abneigungen zu benennen, traute ich mich unter Leute. Ich traf auf einige, die dem Wein mit ähnlicher Leidenschaft aber deutlich mehr Erfahrung begegneten. Die luden mich ein in ihre Probenrunden und so lernte ich ganz automatisch zu punkten. Denn wenn man Weine in einer Probe gegeneinander antreten lässt, will man Sieger küren und das geht am besten, indem man Noten verteilt.

Mit fast kindlichem Eifer bepunktete ich fortan alles, was mir ins Glas kam und aus Trauben gefertigt war (bei Saft konnte ich mich gerade noch beherrschen). Und ich definierte eine eigene Skala, die Punkte in Worte übersetzen sollte. Ich ging sogar so weit, Weine zu bepunkten, die ich gar nicht mochte und dabei trotzdem noch wohlwollend zu urteilen, wenn ich meinte, eine gewisse Qualität zu erkennen, weil ich vermutete, die Königsdisziplin wäre das ,neutrale‘ Beurteilen jenseits der eigenen Präferenz.

Dann fing ich an zu bloggen und dachte, ein Weinblog sei nur so gut wie sein Bewertungssystem ausgeklügelt ist. Zum Glück bin ich lernfähig und halte nicht krampfhaft an Überzeugungen fest. Nach einem halben Jahr reifte langsam die Erkenntnis, dass Punkte überbewertet sind. Ich las und hörte Meinungen, die davor warnten, dass die unsäglichen Punkte nur dazu führen, dass sich niemand mehr die Mühe macht, vernünftige Beschreibungen zu formulieren. Aromen auflisten, Fülle und Länge beschreiben, punkten – fertig.

Also hörte ich mehr oder weniger auf, Punkte zu verteilen. Es gibt zwei Ausnahmen. Zum einen sind das Probensituationen (die ich im Blog aber kaum verarbeite), in denen ich Punkte für richtig und wichtig als Gedächtnisstütze halte. Und es gibt diese magischen Weine, die mehr sind als einfach nur sehr gut. Wenn meine Augen zu leuchten beginnen, dann nimmt der Wein eine Hürde, die die meisten Weintrinker als 90 Punkte definieren. Und dann finde ich es hilfreich, die verkürzte aber aussagekräftige Formulierung ,jenseits der 90 Punkte‘ zu verwenden.

Vorletzte Woche sah ich mich ganz unerwartet mit der Situation konfrontiert, dass ich um Punkte für einen Wein gebeten wurde. Um die Komplexität zu erhöhen, galt es dazu, im von mir noch nie verwendeten 20er System zu punkten und damit richtig Druck entsteht, war die Nachfrage nach dem Punkte-Urteil verbunden mit der Bitte, dieses auch eventuell in der Zeitschrift Weinwisser veröffentlichen zu dürfen. Schweißperlen!

Manchmal muss es Traminer seinEs ging um meinen Beitrag zum Gewürztraminertag auf Facebook. Der Wein hatte mir sehr gut geschmeckt und meine Begeisterung war ungebremst in die Beschreibung geflossen. Da Initiator Stephan Reinhardt überlegt, die interessantesten Weine des Abends in das Magazin zu übernehmen, dessen Inhalt er verantwortet, kam ich seiner Bitte nach. Dabei lernte ich dann auch gleich, dass die magischen 90 sich zu 17 Punkten übersetzen, wenn man das 20er System verwendet. Wohlan, hier also mein erster Wein mit 17 Punkten.

Zillinger, Traminer ,in Haiden‘, 2006, Niederösterreich. Der Traminer ist in der Nase und am Gaumen sehr sortentypisch. Das ist gut, da kann man die Aromen einfach irgendwo abschreiben, Punkte dran und fertig. Lieber das Zitat aus der ursprünglichen Besprechung von Facebook: Ganz im Ernst: das ist ein voller, furztrockener, wenngleich leicht alkoholsüßer Wein, der vor allem hammerstraff und mineralisch und dadurch nicht unangemessen fett ist. Hat viel Tiefgang und Länge. Die Aromen sind tatsächlich typisch, Rose und Litschi die Stichworte. Später schrieb ich noch: nach zwei Gläsern gebe ich aber auf. Morgen ist auch noch ein Tag. Drei Tage sind draus geworden, ehe die Flasche leer war, aber das liegt nicht daran, dass der Wein zu schwer wäre. Traminer ist einfach speziell – und in diesem Fall sehr gut!

Date Night

Ich bin kein Gastrokritiker und deswegen gibt es hier nur alle drei Jahre mal eine Notiz zu einem Restaurant. Man sollte also seine Restaurantauswahl nicht nach meinem Urteil ausrichten. Doch gestern habe ich etwas erlebt, was ich berichtenswert finde. Und Restaurants spielen eine Hauptrolle in diesem Stück, gemeinsam mit einem tollen Wein.

Ich war mit meiner sehr viel besseren Hälfte zu unserem wöchentlichen gemeinsamen Restaurantbesuch verabredet. Wir nennen das Date Night, weil wir es in unserem Leben verankert haben, während wir im englischsprachigen Ausland lebten. Gestern hatten wir uns dafür das Borchardt ausgesucht, ein eher edles Restaurant in Berlins Zentrum. Es ist für zwei Dinge legendär: sein Wiener Schnitzel (obwohl es eigentlich ein Französisches Restaurant ist) und seinen unfreundlichen Service.

Fünf Minuten nach der Zeit unserer Tischbestellung kamen wir an, um zu einem gerade leer geräumten Tisch geführt zu werden. Die Tische standen unendlich eng und der Lautstärkepegel zur Hauptspeisezeit war beeindruckend. Auf die Frage nach einem Aperitif antwortete ich ,Wir hätten gerne ein Glas Sekt‘, was der Kellner mit genau drei Worten beantwortete: ,Prosecco oder Champagner‘. Wir entschieden uns für den Champagner, der schnell gereicht und geizig dosiert war. Während wir uns zuprosteten, wurde der Tisch gedeckt, aufgrund der Enge, wurde meiner Frau das Besteck nur den halben Weg über den Tisch geschoben. Die umliegenden Tische wurden in Lichtgeschwindigkeit von leergegessenen Tellern befreit und alles machte den Eindruck, als ginge es in diesem Restaurant darum, die Tische möglichst oft pro Abend zu besetzen. Kurzum, das Borchardt eignet sich für ein Candlelight Dinner ungefähr so gut, wie eine Verkehrsinsel auf dem Potsdamer Platz.

Ein Blick auf die Weinkarte zeigte den Gutssilvaner vom Weingut Keller für 45 Euro, auch der Rest sah nach fünffachem Weingutspreis aus. Verzweiflung machte sich breit. Ein Blick in das Gesicht meiner Frau zeigte, auch sie war mittlerweile auf schlimmes gefasst. Da hatten wir beide den gleichen Einfall: Lass uns den Champagner bezahlen und ein anderes Restaurant aufsuchen.

Der unfreundliche Kellner kam, um die Bestellung aufzunehmen. Als meine Frau ihm unser Anliegen schilderte – er hatte sich für mich unerreichbar hinter meinem Rücken positioniert – fragte er, ob etwas nicht in Ordnung gewesen sei. Als meine Frau diplomatisch antwortete, wir hätten Date Night und dies sei wohl doch nicht der beste Ort dafür, passierte erstaunliches. Der Kellner strahlte über das ganze Gesicht und gab freimütig zu, dafür hätte er vollstes Verständnis und meine Frau habe absolut recht. Er wurde die Freundlichkeit in Person, brachte Rechnung und Regenschirm und verabschiedete uns herzlich. Wäre ich Zyniker, müsste ich schlussfolgern, die Verachtung für diejenigen, die sich schlecht behandeln lassen und allerlei ertragen, nur um einmal im Borchardt gewesen zu sein, schlug um in Respekt für ernstzunehmende Gäste.

So gut kann Deutscher Spätburgunder seinWir zogen weiter in die Gendarmerie, ein zur Lutter&Wegner-Gruppe gehörendes gehobenes Restaurant mit einem beeindruckenden Speisesaal. Und da war – ich muss es so pauschal sagen – einfach alles besser. Der Service freundlich, der Abstand zum Tischnachbarn angemessen, die Beleuchtung und Lautstärke gedämpft, die Weinkarte vernünftig kalkuliert – und es gab Sekt. Das Essen war ausgezeichnet aber das soll es im Borchardt auch sein. Endgültig versöhnen konnte uns dann der gewählte Wein.

Jean Stodden, Ahrweiler Rosenthal, Spätburgunder Grosses Gewächs, 2004, Ahr. Eine viertel Stunde Luft brauchte er lediglich, dann ging es rund. In der Nase ein bisschen Stall, viele Kräuter, wenig Schuhcreme und reichlich rohes Fleisch, dazu dezente Noten von Kirsche und dunklen Beeren. Am Gaumen ist der Pinot sehr saftig, voll, mit strammer Säure, viel Frucht (Kirsche und Himbeere), Rauch und Fleisch sowie einer straffen Mineralik. Der Abgang ist endlos, genau wie das Vergnügen. Ich fand ihn Weltklasse.

Und im Borchardt war ich jetz auch einmal.

Zwischen allen Stühlen

In den vergangenen zwei Wochen habe ich etwas getan, was ich schon seit langer Zeit nicht mehr getan habe: ich war ein wenig in der Online-Weinszene unterwegs. Aufgrund einiger Verzögerungen bei anderen Projektteilnehmern hatte ich im Büroalltag immer mal wieder ein paar Minuten, um mich mit einem Blick in das eine oder andere Blog oder einem Beitrag bei dieser und jener Diskussion auf Facebook zu zerstreuen.

Doch was ich dabei erlebte, machte mir gleich wieder deutlich, warum mir die arbeitsreiche Zeit lieber ist, in der gerade einmal Zeit für einen eigenen Artikel pro Woche und die Lektüre der Blogs in meiner Blogroll bleibt.

Es begann mit einer erhitzten Diskussion auf Facebook, ob die Deutsche Weinbloggerwelt heillos zerstritten sei, die sich glücklicherweise nur einige Tage hinzog und mehr oder weniger ein Sturm im Wasserglas war. Ich dachte immer, dass diejenigen, die ein Blog nicht mögen, es einfach nicht lesen. Das scheint aber nicht immer so zu sein.

Weiter ging es mit einem Klassiker: dem Korken. Die Diskussion in der gleichen, Weinfreaks genannten Facebookgruppe brachte tatsächlich mal etwas neues, denn es beteiligten sich auch Korkbefürworter, was zunächst für einen facettenreicheren Austausch als das übliche Rindenbashing sorgte. Leider schlugen die Wellen in kürzester Zeit hoch, einzelne Teilnehmer verließen die Diskussion unter Absingen schmutziger Lieder und es zeigte sich die alte Krankheit der Weinszene: zu viele Menschen diskutieren um zu gewinnen, nicht um sich mit anderen Menschen auszutauschen.

Als Reaktion schrieb Manfred Klimek eine kleine Polemik in seinem Weinmagazin Captain Cork, die man amüsant finden kann, wenn man darüber hinweg sieht, dass er eine Menge Behauptungen aufstellt, die zu belegen er vermutlich nie vorhatte. Der Hauptvorwurf war, dass Deutschlands Blogger dem Wein die Romantik nehmen oder die Weinkultur zerstören – oder so ähnlich. Mich erinnerte das sehr an eine verunglückte Glosse eines damals noch recht bedeutenden Weinjournalisten über ,die Spinner in ihren Blogs‘, zu der sicherlich in Dirk Würtz‘ Blogarchiv noch etwas zu finden ist.

Als Zerstörer der Weinkultur betätigte sich selbiger wahrlich nicht, als er in seinem Blog einen ultimativen Erklärungsversuch der neuen VDP-Klassifikation unternahm. Auch der wurde eifrig auf Facebook diskutiert – mit exakt den gleichen Statements, mit denen vor bald zehn Jahren schon im damals wichtigsten und heute nicht grundlos verwaisten Web-Weintreff ,talk-about-wine‘ auf alle eingedroschen wurde, die das GG als großen Wurf betrachteten. Ich habe mir mal die Mühe gemacht zu zählen und habe 71 verschiedene Riesling GGs aus dem vermutlich ziemlich guten Jahr 2007 in meinem Keller gefunden. Damit qualifizierte ich mich in den Augen des Gruppenleiters als Etikettentrinker der Extraklasse – und ich dachte, ich wäre einfach nur neugierig.

Von außen betrachtet, wirkt die Online Weinszene vermutlich wie ein humorloser Klub älterer Herren, zänkisch und in der eigenen Bedeutung gefangen. Das sollte man nicht zu dramatisch sehen, denn wer je auf einer Mövenpick-Weinprobe war, wird zugeben, dass die Offline-Welt von außen betrachtet ebenfalls wie ein zänkischer, humorloser Klub älterer Herren wirkt (die sehen nur nicht so gut aus wie auf Facebook-Profilfotos)

Niemand hat mich persönlich der Ahnungslosigkeit, des Technokratentums oder der Etikettentrinkerei beschuldigt – das wäre auch zu konkret in der Online-Welt, in der niemand je Ross und Reiter nennt. Daher bin ich auch nicht ernsthaft beleidigt. Ich hab‘ mich einfach bei der Gruppe wieder abgemeldet und die Auswahl der Blogs, die ich lese richtet sich nach meiner verfügbaren Zeit. Das erledigt sich alles von alleine. Fehlt nur noch ein guter Wein. Ein Lieblingswein. Mal wieder ein ,Trio‘ von den Schneiders. Die sind vor Jahren mal aus dem VDP ausgetreten – ob sie das gemacht haben, weil Ihnen der VDP damals wie ein Klub zänkischer älterer Herren vorkam, weiss ich nicht. Die Vorstellung wäre mir aber irgendwie symphatisch.

R.&C. Schneider, Weißer Burgunder Spätlese tr. *** trio, 2007, Baden. In der Nase Birne, Aprikose, Quitte, Holz und Rauch – 5 Aromen, mehr schaff‘ ich nicht. Am Gaumen ein bisschen überdreht mit einem Geschmack, den ich nur als Grüner-Apfel-Bubblegum beschreiben kann, kräftige Säure, ziemlich viel Holz, etwas cremig aber vor allem rassig. Die 14% Alkohol sind erstaunlich unauffällig. Nach hinten raus schmeckt der Wein nach Birne, ist etwas kratzig im Abgang, was sehr animierend ist, auch rauchig und vor allem sehr sehr lang – immer noch ein Lieblingswein, auch wenn er sich am zweiten Tag sehr viel cremiger und weniger rassig und dann auch alkoholischer und insgesamt fett (aber immer noch gut) präsentiert.

P.S. Während ich diesen Artikel schrieb, nahm ich parallel an einer wahnsinnig spaßigen Aktion teil, die der Weinjournalist Stephan Reinhardt spontan einberufen hatte. Einem Gewürztraminer-Happening auf Facebook. Das zeigt, welche Kraft die sozialen Medien haben können, wenn sich alle mal locker machen.

Wittmann aufhängen

Vor vielen Jahren begegnete ich einer Frau, die Einkaufstüten sammelte. Dabei ging es ihr nicht darum, möglichst viele Einkaufstüten zusammen zu tragen, die dann alle mit ,Penny‘ oder ,Lidl‘ bedruckt sind, sondern um eine Auswahl möglichst exklusiver Beutel mit Aufdrucken von ,Chanel‘ oder ,Tiffany‘. Diese Tüten, erzählte mir die Freundin, die mich mit dieser Frau bekannt gemacht hatte, schmückten die Wände ihrer Wohnung und wurden voller Stolz ausgestellt. Das war so ziemlich das albernste Hobby, dem ich je in meinem Leben begegnet bin.

Gut festmachen...
Ein merkwürdiges Etwas…

Fast die Hälfte meiner Freunde – das sind diejenigen, die meinen Weinfimmel teilen – sammelt leere Weinflaschen. Dabei geht es nicht darum, möglichst viele Flaschen zusammen zu tragen, die dann mit ,Gallo‘ oder ,Torres‘ bedruckt sind, sondern um eine Auswahl möglichst exklusiver Flaschen mit Aufdrucken wie ,Mouton‘ oder ,Latour‘. Diese Flaschen schmücken die Schränke in den Küchen und Esszimmern meiner Freunde und werden voller Stolz ausgestellt. Das ist so ziemlich das normalste von der Welt und ich würde selbstverständlich mitmachen, wenn – ja wenn ich nicht damals dieser Frau mit den Tüten begegnet wäre und mir außerdem viel zu viele Gedanken darüber machte, wie mein Tun auf andere (weniger weinverrückte) wirken könnte. Ein paar Flaschen zieren einen einzelnen Schrank daheim aber das sind eher besonders hübsche oder solche mit einer interessanten Geschichte als teure und bekannte.

Das wird jetzt anders!

Immer wenn ich denke, ich hätte meine Weinliebhaberei derart übertrieben, dass meine Frau demnächst ihre Sachen packt und sich einen unterhaltsameren Gefährten sucht, überrascht Sie mich mit einem vinophilen Liebesbeweis. So schenkte sie mir einst, nachdem ich mein verabredetes Weinbudget aufs unverfrorenste überzogen hatte und Entmündigung fürchtete, eine Flasche Roederer Cristal, mein erster Wein jenseits der Hundert-Euro-Marke überhaupt (und ja, der steht auf dem Schrank – aber nur wegen der Geschichte). Dieser Tage war es einmal mehr so weit. Ich hatte gerade besonders viel in Sachen Wein unternommen, da kaufte meine sehr viel bessere Hälfte eine Lampe für unsere Küche. Sehr unscheinbar sah sie aus, verlangte aber nach einer Aufhängung, die 25 Kilo tragen kann. Dabei war das Paket nicht besonders schwer.

…entpuppt sich zum Lieblingsspielzeug

Um es kurz zu machen: es ist die perfekte Lampe für mich. Sie nutzt Weinflaschen als Mittel zur Lichtstreuung – ganze 22 Stück sogar. Um sie vernünftig zu verwenden, muss ich also 22 Weinflaschen sammeln und dort hinein hängen. Niemand wird sich wundern, dass ich leere Weinflaschen ausstelle, die Unbedarften werden denken, die hätten zum Lieferumfang der Lampe gehört. Die Insider werden sich stundenlang meine Lampe anschauen und ich kann die Zahl der gehorteten Flaschen mehr als verdoppeln. Das einzige Problem, das ich plötzlich habe, ist ein Mangel an leeren Flaschen. Und wie man die herstellt, weiss ich glücklicherweise. Hier ist gleich mal eine, die in meine neue Lampe gehört.

Wittmann, Riesling Kirchspiel GG, 2005, Rheinhessen. In der Nase von mittlerer Intensität mit Aprikose, Pistazie und getrockneten Kräutern. Ich weiss, dass Steine keinen Duft absondern, aber trotzdem kommt die Assoziation auf, dass der Wein nach Stein riecht. Am Gaumen ist es nicht ganz so extrem: der Riesling ist sehr mineralisch aber nicht mehr als viele Weine dieser Bauart auch. Dazu bietet das Grosse Gewächs feine Frucht (Mandarine, Aprikose, Ananas), viel Würze, kräftige Säure, reichlich Bumms. Aber der Kirchspiel ist nicht übertrieben dick oder konzentriert, 13% Alkohol sind akzeptabel integriert. Das ist alles sehr rund und schön. Was der Wittmann vielen guten 2005er GGs voraus hat ist eine enorme Tiefe. Ich kann mich bei jedem Schluck mehr für ihn begeistern und auch am zweiten Tag verströmt er noch Frische im Glas und erzählt eine neue Geschichte. Das Zuhören lohnt sich.