Flasche leer

Ich bin der festen Überzeugung, dass ich einen ganz normalen Weintrinkerspleen habe, wenn ich ‚letzte Flaschen‘ horte. Bin ich im Besitz von 6 Flaschen des identischen Weines und haben mir die ersten fünf große Freude bereitet, dann bleibt die sechste über Gebühr liegen, erinnert mich beim Gang in den Keller an vergangene Freuden und wird und wird nicht aufgezogen. Dabei ist es doch nur Wein. Und die Folgejahrgänge liegen oft daneben.

In dieser Phase der Weltmeisterschaft sind so viele Teams (und Fans) mit schmerzlichem Abschied konfrontiert, dass ich beschlossen habe aus Solidarität mitzuleiden. Das ist Leiden auf hohem Niveau, denn ich werde während der Übertragungen einige besonders schöne letzte Flaschen köpfen. Zum Anfang hieß es ‚Adieu Altenberg ‘04, du warst ein verlässlicher Gefährte!‘

Von Othegraven, Kanzem Altenberg, Riesling Erste Lage (trocken), 2004, Mosel (Saar). Die letzte Flasche kommt deutlich frischer daher als die vorletzte, welche ich hier kurz beschrieben habe. In der Nase ist der Wein leicht parfümiert; es dominieren jedoch Aprikose, Aloe Vera, Kemmsche Kuchen und viel Maracuja. Am Gaumen ist der Wein sehr saftig, nicht ganz trocken (ich schätze ob der nur 12% Alkohol, dass der Wein einen zweistelligen Restzuckerwert aufweist) mit viel süßer Frucht von Mandarine und Pfirsich, etwas Karamell, wenigen, leicht würzigen Reifenoten und einer gereiften, milden aber noch präsenten Säure. Das ist ein enorm dichter und konzentrierter Riesling, der trotzdem nicht überextrahiert wirkt. Eine erdige, rauchige Mineralik trägt den sehr langen Abgang. Furiose Abschiedsvorstellung; leider keine Zugabe vorgesehen…

Das Vier-Trinker-Jahr

Die Rieslingsaison ist in vollem Gange und wie Anfang des Jahres fest vorgenommen, trinke ich in den letzten Monaten verstärkt große und erste Gewächse des Jahrganges 2005. So allmählich verfestigt sich ein Bild und bestätigen sich Tendenzen. Zumindest aus Rheinhessen, der Pfalz und von der Mosel habe ich jetzt eine Zahl von Weinen getrunken, die ich repräsentativ nennen möchte, aus Baden und Franken keinen einzigen, der Rheingau war gelegentlich in meinem Glas vertreten.

Lange habe ich überlegt, wie man den Jahrgang wohl am besten beschreibt. Meine Erfahrung mit GGs in frischem wie gereiften Zustand beschränkt sich auf ein Jahrzehnt. Folgende Kategorien habe ich bisher für mich gefunden: Es gibt schlechte Jahre (2000), es gibt gute Jahre (2002), es gibt sehr gute (2007) bis große (2001 und evtl. 2009) Jahre, es gibt unterschätzte Jahre (2004 und 2008), es gibt Hitzejahre (2003) und es gibt Winzerjahre (2006), welche sich dadurch auszeichnen, dass es dem Geschick oder Glück des Winzers zuzuschreiben ist, wenn was gescheites auf die Flasche kommt, während die Masse eher maues Zeugs produziert.

2005 passt da nur bedingt hinein. Ich stelle fest, dass sich unter den besten trockenen Rieslingen, die ich in meinem Leben trinken durfte, einige 2005er tummeln. Andererseits sind viele 2005er ziemlich dick und alkoholisch. Die besseren Weine sind so komplex, dass man mehrere Anläufe braucht, um sie in Gänze zu erfassen, machen aber auch satt. Vereinfachend möchte man sagen, die 2005er spielen ihre volle Klasse erst beim vierten Schluck aus – um sie beim elften wieder einzukassieren. Deswegen werden die Weine immer besser, je mehr Mitstreiter man hat. Mit vier Personen eine Flasche zu teilen, ist ein probates Mittel gegen die Opulenz. So findet 2005 als Vier-Trinker-Jahr Eingang in meine persönliche Chronik.

Es gibt auch ‚normale‘ GGs aus 2005, so wie dieses hier:

Reichsrat von Buhl, Forster Pechstein, Riesling GG (Spätlese trocken), 2005, Pfalz. In der Nase ist der Wein etwas eindimensional mit Aromen von sehr viel Apfel und ein bisschen Pfirsich. Am Gaumen dann deutlich besser, glänzt der Wein vor allem mit Struktur: er ist voluminös und druckvoll, ohne zu fett zu sein und mit 13% auch nicht übermäßig alkoholisch. Saftige Pfirsichfrucht paart sich mit maßvoller Säure und erdig-rauchiger Mineralik. Sehr langer Abgang. 89 Punkte

Die besten GGs aus 2005, die ich trinken durfte waren wohl Kellers Kirchspiel, Emrich-Schönlebers Halenberg, Heymann-Löwensteins Uhlen ‚R‘ (naja, fast trocken) wie auch die hier schon begeistert beschriebene Karthäuserhof Auslese trocken ‚S‘. Sie können auch jetzt noch eine Stunde Luft vertragen. Daraus möchte ich aber nicht schließen, dass die 2005er weiterer Lagerung bedürfen. Wobei es auch dazu Ausnahmen gibt, wie diesen hier.

Heymann-Löwenstein, ‚Uhlen – L‘ (Winninger Uhlen – Schieferformation Laubach), Riesling 1. Lage, 2005, Mosel. Überreife Nase von Dörraprikose, Rhabarber und etwas Aloe Vera. Am Gaumen ist der Wein nur mäßig harmonisch: Süße, Säure und eine nicht zu vernachlässigende Menge von Bitter- und Gerbstoffen bestimmen das Bild ohne wirklich miteinander zu spielen. Eine gewisse Saftigkeit, Apfel- und Mango-Aromen, eine kalkige Mineralik und ein ordentlicher Abgang können den Wein teilweise retten. Das ist entweder ein Gigant zur Unzeit oder ein Wein, bei dem der Winzer etwas zu viel gewollt hat. Das möge jeder für sich entscheiden, weswegen ich mir das Bepunkten spare. Ich hoffe auf die zweite Variante.

Dementia praecox

Dieser Tage hatte ich Lust auf einen besonderen Riesling aus dem hervorragenden Jahrgang 2005. Meine Wahl fiel auf eine Auslese ** trocken aus dem Graacher Domprobst vom Weingut Kees-Kieren. Doch schon unmittelbar nach dem ersten Schluck hatte ich keine Lust mehr auf den Wein: so fett, so mächtig und mastig kam der Bolide daher. 13,5% Alkohol, überreife Frucht, Karamell bis zum Abwinken und eine Säure, die mir zu mild war, um all das ansprechend zu strukturieren. Tagelang versuchte ich mich nippend an dieser Interpretation eines Moselrieslings, die meines Erachtens unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fiel.

Nach Tagen kamen ein paar Freunde vorbei, denen ich den Wein präsentierte. Meine parteiische Vorstellung des Tropfens hatte keinen Effekt. Ich war der einzige im Raum, der den Wein nicht gut fand. Alle anderen waren angetan und die noch fast volle Flasche rasch leer.

Trotziges Kind, das ich manchmal sein kann, holte ich einen Tag später den ‚kleinen Bruder‘ des Gewächses aus dem Keller, um ganz alleine einen Wein zu genießen, der Mosel noch so interpretiert, wie Mosel sein soll:

Kees Kieren, Graacher Domprobst, Riesling Spätlese trocken, 2005, Mosel. In der Nase dominieren Fruchtaromen, vor allem Rhabarber und Pfirsich, dazu immer noch leicht blumig aber auch erste Reifenoten. Am Gaumen ist der Riesling sehr balanciert: milde aber präsente Säure, volle Schiefermineralik mit leicht malziger Note, saftig, Mandarine, Aprikose, ziemlich voll aber nicht fett mit 12,5% Alkohol perfekt im Gleichgewicht. Relativ langer Abgang. Kratzt an 90 Punkten.

Unterstützung für meine Meinung, dass ein Moselriesling so zu sein hat, suchte ich auch im Netz, wo ich rasch eine Verkostungsnotiz zur Auslese fand, die ebenfalls auf die extreme Karamell-Aromatik abhob. Sie endete allerdings im begeisterten Fazit: ‚ Kein filigraner Moseltänzer – dieser Wein stampft eher eine herzhafte Polka im 95-Punkte-Takt.‘  Das Problem an dieser VKN war ihr Autor: sie stammt von mir. Ich habe sie letztes Jahr hier in meinem Blog veröffentlicht.

Ich würde gerne etwas Kluges zur Erklärung oder meiner Verteidigung schreiben, allein mir fällt nichts ein. Außer der hier vielleicht: Kommt ein Mann zum Arzt: ‚Herr Doktor, Herr Doktor, ich bin schizophren, brauche ich da zwei Lohnsteuerkarten?‘ – ‚Nur wenn Sie beide arbeiten wollen!‘.

Ich wollte Weinblogger sein…

…als ich mich heute vor einem Jahr ziemlich spontan bei WordPress anmeldete und ein Blog mit dem Namen ‚Der Schnutentunker‘ einrichtete. Ideen hatte ich einige und irgendwie war die Diskussion der Rebsorten, die mich am meisten interessieren, im Deutschen Teil des Internets erlahmt. Warum also nicht meine Gedanken und Notizen in einem eigenen Blog präsentieren?

365 Tage und gut 120 Beiträge später hat sich das Bild ein bisschen gewandelt. Ein richtiger Weinblogger bin ich nicht geworden. Ich recherchiere nicht, ich greife keine Themen auf, die aktuell die Wein-Web-Gemeinde umtreiben, ich habe keinen Anspruch auf Aktualität und ich begreife mein Blog nicht als ein Weinmedium. Meine Vernetzung lässt zu wünschen übrig.

Um das (im Moment) endgültige Credo des Blogs ‚Der Schnutentunker‘ zu finden, habe ich gut sechs Monate gebraucht. Zirka seit dem Jahreswechsel gibt es ein einfaches Grundprinzip: Ich trinke, wozu ich gerade Lust oder Anlass habe und wenn mir dazu eine Geschichte einfällt (irgendeine Anekdote oder ein Gedanke, mit dem ich schon eine Weile schwanger gehe), dann gibt es eine Geschichte – wenn nicht, dann nicht. Was trotzdem erwähnt werden muss, landet in der mit ‚Füllwein‘ überschriebenen Artikelserie; ganz selten gibt es eine rahmenlose Verkostungsnotiz eines besonderen Weines als Einzelartikel. Und die monatliche Weinrallye kann mich dazu animieren, einen Wein extra für eine Geschichte aufzuziehen.

Zwei Aspekte genieße ich an diesem Dasein: Mein Zugang zu Wein vor dem Hintergrund der Frage, (was) würde ich über diesen Tropfen schreiben wollen, ist ein anderer als das bloße Wegsüppeln vergangener Tage. Die Beschäftigung mit Sprache – ich kann es auch ‚die Lust am Fabulieren‘ nennen – ist die andere Motivation den Schnutentunker zu schreiben. Ein bisschen pointiert soll es ein, von mir aus auch mal albern, ich gebe dem Kalauer den Vorzug vor der Seriosität. ‚Der Schnutentunker‘ ist heute mehr denn je das ‚Tagebuch eines ahnungslosen Enthusiasten‘, als das ich es von Anfang an untertitelt habe.

Durchschnittlich 15 bis 25 Menschen besuchen mein Blog am Tag, Tendenz stagnierend. Es könnten mehr sein, würde ich weniger Wert auf Überschriften und Textvariationen legen, denn Google mag es monoton – nur mir verginge dann der Spaß.

So kommt ein Viertel der Besucher über Genussblogs.net, ein Viertel über Blogrolls, wobei der Eintrag in Bernhard Fiedlers Blogroll ungefähr doppelt so viel ausmacht, wie alle anderen zu mir verlinkenden Blogs zusammen! Weitere Leser finden mich über die WordPress-Twitter-Bridge oder haben ein Bookmark gesetzt – Google ist ein verblüffend kleiner Traffic-Lieferant.

Ich wende kaum mehr als vier Stunden pro Woche für den Schnutentunker auf, mehr erlaubt das Familienleben nicht. Daher freut mich das Ergebnis des ersten Jahres. Einen besonderen Wein muss ich zum Jubiläum nicht trinken. Der erste hier erwähnte Wein war Kerpens trockene Spätlese aus der Wehlener Sonnenuhr von 2006. Ein Jahr weiser und eine Entwicklungsstufe weiter bietet sich dieser hier an:

Kerpen, Wehlener Sonnenuhr, Riesling Spätlese trocken ‚Alte Reben‘, 2006, Mosel. Der Wein ist in der Nase jahrgangstypisch. Man kann das ‚unsauber‘ nennen oder würzig, ich finde es interessant – zumindest gelegentlich. Frucht in Form von Apfel ist noch da sowie etwas Liebstöckel. Am Gaumen ist der Wein recht wuchtig, mit massiver Mineralik aber auch wahnsinnig reif, kräuterig und würzig. Aromen von Dörraprikose und eine spürbare Säure erinnern entfernt an Riesling. Der Abgang ist lang und etwas brandig, der Wein erinnert im Abgang eher an Cognac denn an Riesling. Es ist die letzte Flasche. Die anderen beiden habe ich in ihrer Jugend genossen und da war der Wein hervorragend.

Ich danke allen Lesern. Bleibt mir gewogen!

Füllwein (15)

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

Battenfeld Spanier, Weissburgunder QbA, 2007, Rheinhessen. Der Basiswein ist einer der dichtesten und fettesten Basisweine aus dieser Rebsorte, die ich je getrunken habe. Er hält locker mit so mancher Spätlese guter Erzeuger mit. Allerdings ist er trotz Schraubverschluss schon ziemlich reif und ich werde zukünftige Jahrgänge jünger trinken. In der Nase Apfel, Birne, Quitte, eine leichte florale Note aber auch erste Reifetöne. Am Gaumen ebenfalls Kernobst und eine recht deutliche Bratapfelnote, die der Wein in der Jugend vermutlich noch nicht hatte. Sehr viel Kraft, dicht und stoffig trotz dem der Wein im Alkohol mit 12,5% recht bescheiden ist. Der Wein ist mild in der Säure, der Abgang sehr lang.

Agritiushof, Riesling ‚Selection‘ (Oberemmeler Karlsberg), QbA, 2005, Mosel (Saar). Die sehr dunkle Farbe fällt sofort auf, und man erwartet instinktiv einen reifen Wein. In der Nase präsentiert sich der Wein auch vollreif mit Noten von Orangeat und gelben Früchten, doch er hat auch etwas duftig Blumiges. Am Gaumen ist er nicht sehr druckvoll, eher mittelkräftig mit feiner Säure und Aromen von Grapefruit und Mandarine. Mäßige Mineralik und ordentliches Spiel münden in einem langen Abgang, der beim ersten Glas etwas adstringierend am zweiten Tag jedoch vollkommen harmonisch ist. Der Wein ist ein schönes Beispiel, wie der Reifeprozess einen Moselriesling harmonisieren kann: acht Promill Säure und fast elf Gramm Restzucker haben sich zu einem harmonisch trockenen Gesamtbild vermählt.

Heymann-Löwenstein, Riesling ‚Schieferterrassen‘, 2007, Mosel. Sehr saubere Nase: Klare Pfirsichfrucht, Rhabarber, Aloe Vera. Am Gaumen mitteldick, halbtrockenes Geschmacksbild, schöne Frucht von Apfel und Pfirsich, etwas Mineralik, insgesamt schön aber nicht übermäßig komplex. Im langen Abgang ein leichter Gerbstoff/Bitterton, der zu ‚Abzügen in der B-Note‘ führt. Dieser Ton kann sich mit der Zeit integrieren – oder auch nicht. Ich habe beides schon erlebt und wage keine Prognose. Alles in allem ein sehr schöner Wein, der aber im Kontext von Winzer und Jahrgang etwas hinter meinen Erwartungen zurück bleibt.