Kritik der reinen Vernunft

Gestern hatte ich die aktuelle Vinum im Briefkasten, die eine neue Ausgabe der Liste Deutschlands 100 bester Weingüter enthielt. Damit ist auch das letzte Jahres-Ranking erschienen, das Deutschlands Weingüter in Klassen einteilt. Herr Eichelmann hatte wie gewohnt den Anfang gemacht, der Gault Millau 2011 kam Ende November. Erstmals mit einer großen GG-Verkostung am Start war die deutsche Ausgabe des Falstaff-Magazins, ein Weingutsranking veröffentlicht das Magazin (noch) nicht. Die Weinwelt bot vermutlich auch eine GG-Verkostung, ich gehöre allerdings nicht zu deren Lesern und weiß es daher nicht genau. Kritik der reinen Vernunft weiterlesen

Prädikatsmarmelade

Ich bin ein großer Fan von deutlichen Ausdrücken in der Weinsprache. Wenn ein Wein so richtig schwach ist, darf man ihn in meiner Gegenwart gerne als Plörre bezeichnen, auch wenn das in weiten Teilen der Weinszene verpönt ist. Und so mag ich auch den Ausdruck ‚Trinkmarmelade‘ für heftigst fruchtige, übertrieben opulente und dabei schwere, alkoholstarke Weine. Dieses selten schmeichelhaft gemeinte Attribut wird in meinem Bekanntenkreis gerne Weinen aus Übersee angehängt, dabei bin ich der Meinung, dass etliche südfranzösische Winzer sich hervorragend auf die Produktion von Trinkmarmelade verstehen und auch in Deutschland die eine oder andere Marmeladenfabrik steht.

Ich trank diese Woche genau drei Weine und mehr oder weniger zufällig, waren alle drei ziemlich wuchtig, opulent und süß – Kandidaten für das Marmeladenattribut. Vielleicht liegt es am Kälteeinbruch, dass ich sie alle drei gerne mochte, lediglich der erste konnte mit seinem Zuviel an Alkohol nur bedingt punkten, die anderen beiden haben mir richtig gut gefallen.

Künstler, Hochheimer Reichestal Spätburgunder R, 2005, Rheingau. In der Nase sehr vegetabil (um dieses bescheuerte Wort wenigstens einmal in diesem Blog zu verwenden), was höflich umschreiben soll, dass die Nase eher an Gemüsesud, Sellerie und Sauerkraut erinnert denn an Wein. Am Gaumen ist der Wein nur verhalten fruchtig, vor allem Kirsche und ein wenig Waldbeeren sind zu schmecken; die Frucht ist sehr reif aber nicht überextrahiert. Recht deutliche Rauch- und Holznoten erreichen den Gaumen noch, bevor 14,5% Alkohol aus allen Rohren feuern und andere Sinneseindrücke platt machen. Im langen Abgang taucht noch etwas Mineralik auf. Das ist solo getrunken ein rechter Branntwein, zu einem sehr feurig gewürzten Gulasch dreht der Reichestal jedoch auf. Dann harmoniert‘s prächtig und der Alkohol fällt nicht weiter auf. Als Gesamtpaket sind das für mich 86 oder 87 Punkte zusammengesetzt aus einer eher abschreckenden Aperitif-Erfahrung und einer sehr gelungenen Speisenkombination. Eher Alkoholmonster als Trinkmarmelade.

Johannishof (Eser), Rüdesheimer Berg Rottland, Riesling Erstes Gewächs, 2005, Rheingau. In der Nase Bratapfel, (über)reifer Pfirsich, etwas rosinig, etwas spritig, würzige Reifenoten und Malz. Am Gaumen ist der Wein richtig voluminös und dick, süße Frucht, Aprikose, Apfel, Mandarine und Kemmsche Kuchen; dazu kommt eine rauchige Mineralik. Der Alkohol von 13,5% ist mittlerweile halbwegs integriert, was vor einigen Jahren noch überhaupt nicht der Fall war. Der Wein zeigt Tiefe und Länge, ist aber so überkonzentriert, fruchtig, alkoholisch und fast halbtrocken, dass man ihn getrost als ‚weiße Trinkmarmelade‘ bezeichnen darf. Bestimmt nicht jedermanns Sache aber ich finde ihn richtig großartig und sehe ihn nördlich von 90 Punkten.

Vina Errazuriz, Don Maximiano Founder’s Reserve, Cabernet Sauvignon, 2000, Aconcagua Valley, Chile. In der Nase eine Beeren-Orgie: vor allem Brombeere und Himbeere dominieren das Bukett, aber es scheinen auch Cassis und Blaubeere durch. Dazu gesellt sich eine Reihe von irdenen Aromen: etwas Lakritz, etwas Holz und Leder, am zweiten Tag kommt eine leichte Joghurt-Note dazu. Am Gaumen ist der Wein ebenfalls sehr fruchtig, mit ein wenig Luft wird er aber kantiger und der überbordenden Beeren-Frucht stehen Holz und Tannin in vernünftigem Maß gegenüber. Während er am ersten Abend vor allem niedere Instinkte bedient (SCHENK! MIR! EIN!), erscheint er tags drauf hervorragend strukturiert und tiefgründig – der Wein spricht mit mir. Allerdings spricht er Spanisch mit südamerikanischem Akzent: ein üppiger Cabernet aus Übersee, der aus sehr reifen Trauben gewonnen und mit 14% Alkohol alles andere als bescheiden ist. Der Don Max ist aber gesitteter als die beiden oben beschriebenen Weine. Er harmonierte mit Rinderrouladen und trank sich gut solo. Der Abgang währt sehr lang. 92 Punkte.

Abkürzung zum Halenberg

‚Man müsste mal…‘ beginnt so mancher Gedanke, den ich in meinem Leben hin und her wälze. Wenn sich solche Gedanken um Wein drehen, habe ich eine hohe Quote beim In-die-Tat-Umsetzen. Ich bin gelegentlich zu denken geneigt, dass ich es weit bringen könnte, legte ich eine ähnliche Zielstrebigkeit in anderen Betätigungsfeldern an den Tag – mindestens mein Garten wäre prächtig und mein Haus perfekt, vielleicht sogar mein Auto immer sauber.

Man müsste sich mal mit den Weinen von Schäfer-Fröhlich beschäftigen, dachte ich vor einigen Jahren. Also kaufte ich ein paar GGs des Jahres 2007 aus dem Hause. Für den Halenberg hatte es nicht gereicht, der ist ohne Subskription kaum zu ergattern. Also holte ich das beim Jahrgang 2009 nach. Ab 2011 sollte es losgehen, denn mit beschäftigen meine ich hier das genüssliche Trinken einiger gereifter GGs. Einzelne Weine hatte ich schon im Glas und die Weine von Schäfer-Fröhlich wurden immer ihrem Ruf gerecht. Aber die Königsdisziplin ist für mich das gereifte GG, ganze Flasche, zuhause! So wäre dann zirka 2013 mit dem ersten gereiften Halenberg das Thema Schäfer-Fröhlich erfolgreich abzuschließen.

Doch dann bot das Leben mir eine Abkürzung. Bei einer Kellerauflösung konnte ich ein paar Flaschen des Halenberg aus dem Jahr 2005 erwerben. Und deswegen kam dieser Tage getreu dem Motto ‚Das Beste zuerst‘ ein gereiftes Halenberg-GG von Schäfer-Fröhlich in mein Glas. Und auch da wird das Weingut seinem Ruf vollauf gerecht.

Schäfer-Fröhlich, Monzinger Halenberg, Riesling Großes Gewächs, 2005, Nahe. In der Nase zeigt das GG deutliche Reifenoten: einen Hauch Petrol, etwas Muskat; dazu viel Aprikose und Apfel, ein bisschen Aloe Vera und Marzipan. Am Gaumen ist der Wein vom Süße-Säure-Spiel her quicklebendig und frisch, es zeigen sich aber auch Reifetöne: mürber Apfel, getrocknete Aprikose. Ein wundervolles Mundgefühl mit einem Anflug von Cremigkeit, eine nicht zu aufdringliche, leicht rauchige Mineralik und ein Hauch Restzucker, der für zusätzliches Volumen sorgt, passen wie die Faust aufs Auge. Da ist alles am rechten Platz, im richtigen Maß und im harmonischen Gleichgewicht. Ein großartiger Wein mit einem endlosen Abgang und perfekt integrierten 13% Alkohol. 94 Punkte.

Der Unterschied zum gleichen Wein aus dem Hause Emrich-Schönleber ist in meinen Augen der etwas höhere Restzucker. Der reinrassige Trockentrinker könnte damit Probleme haben. Das einzige Problem, das ich damit hatte, war die Tatsache, dass der Wein meiner Frau so gut schmeckte…

Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs

…war eine innovative aber nur mäßig erfolgreiche Band, die zum Soundtrack meiner Jugend ungefähr ein halbes, leicht vernebeltes Konzert in irgendeiner Schulaula beisteuerte. Trotzdem trage ich den Namen in meinem Gedächtnis, vermutlich weil er in einem Wort/Satz eine geistige Haltung seiner Epoche zusammenfasste: Ostprodukte sind ungesund. Die Eier bei Aldi kamen damals angeblich aus der DDR und den Hühnern wurde Karotin unters Futter gemischt, damit das Dotter leuchtend Orange ist – so raunte man sich zu.

‚Opa erzählt wieder vom Krieg‘ mag manch Leser jetzt denken und überhaupt: was hat das bitte mit Wein zu tun? Wenig – ich kann mich einfach nicht gegen diese Gedankenschübe wehren, die ich mal als (sehr) freie Assoziationen bezeichnen möchte. Denn ‚Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs‘ dachte ich neulich spontan, als ich bei ebay eine Auktion beobachtete, in der ein Sechserkarton mit Großen Gewächsen aus einer der renommiertesten Lagen der Ex-Täterä zum Dumpingpreis wegging. Normalerweise gehen GGs aus dem Jahrgang 2007 bei ebay zum Listenpreis bis hin zu 20% Aufschlag weg, Weine von Keller schaffen schon mal 100% Aufschlag, weniger bekannte bleiben auch eine ganze Ecke unter Ursprungspreis. Die Ossis jedoch haben es ganz schwer. Da kommt es zu massiven Abschlägen. Ich glaube, das liegt an alten Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs-Vorurteilen.

Einige Ost- GGs sind von Natur aus günstig. Das hier besprochene kostete gerade mal 19€. Da werden die absoluten Zuschlagpreise atemberaubend. Bei eben über 10€ pro Flasche (inklusive Porto!) ging die von mir beobachtete Auktion zu Ende. Normalerweise wäre ich vor Sorge um den ostdeutschen Weinbau zerflossen, wenn sich der Egoist in mir nicht so schamlos über sein Schnäppchen gefreut hätte. Der Zuschlag ging an mich.

Lützkendorf, Karsdorfer Hohe Gräte, Riesling Große Gewächs, 2007, Saale-Unstrut. In der Nase fruchtig mit Aprikose und Banane sowie mit einer herrlich cremigen Vanillenote und etwas Pistazie. Am Gaumen ist der Wein frisch, mit kräftiger Säure und schönem Spiel, Aromen von Apfel, Mandarine, Rhabarber. Er ist nicht sehr dick, eher elegant, wobei das keine höfliche Umschreibung für ‚dünn‘ sein soll, sondern uneingeschränkt positiv gemeint ist: mineralisch, zupackend und mit Tiefgang aber eben kein Bulldozer, was auch an den gut verdaulichen 12,5% Alkohol liegen mag. Dazu kommen ganz dezente Bitterstoffe, die den Wein animierend machen. Der sehr lange Abgang klingt mit kräftiger Säure aus. Ein hervorragender Wein und eine willkommene Abwechslung unter den GGs.

Ich bin mir sicher: Der macht keinen Krebs. Der macht ja nicht mal `nen dicken Kopf.

Was trinkt man zum Grünkohl…

…wenn es kein Bier sein soll? Die Suche nach dem richtigen Wein zu diesem irgendwie weinfeindlichen Gericht treibt mich schon eine ganze Weile um. Bei mir gibt es Grünkohl semiklassisch mit allerlei geräucherten Fleischwaren und kleinen, ganzen, etwas karamellisierten Röstkartoffeln. Das ‚semi‘ ist der Tatsache geschuldet, dass ich lieber geräucherte Putenbrust als Kasseler verwende und auch die Kohlwürste aus Geflügel sind.

Geräuchertes Fleisch und die leicht erdigen Noten des Grünkohl: Damit würde sich auf den ersten Blick ein südfranzösischer Rotwein mit Unterholz-Aromen anbieten, jedoch mag ich zu diesem Gericht nicht auf Senf verzichten. Und die Vermählung von Senf mit Rotwein steht auf meiner persönlichen Liste der Kombinations-Verbrechen auf einem unangefochtenen Spitzenplatz – noch vor der von meiner Frau gelegentlich vorgenommenen Paarung Salami mit Marmelade.

Also versuche ich es seit jeher mit Weißwein, und zwar mit solchen, die ein Holzfass von innen gesehen haben. Ein von einem Freund geschenkter ‚Cuvée de Blanc‘ von Stodden (das ist ein Riesling aus dem Barrique) passte vor Jahren ganz ordentlich, ist aber kein Wein, von dem ich ein erstes Glas als Aperitif oder ein letztes als Abschluss des Abends trinken würde. Dieses Wochenende habe ich es mit Dönnhoffs Doppelstück probiert, von dem ich im September schon kurz berichtete. Am ersten Tag hat der frisch geöffnete Wein eine überbordende Frucht gezeigt, die vor und nach dem Essen großen Spaß bereitete, die Grünkohl-Kombi bekam von mir aber als Schulnote eine Drei minus. Am Zweiten Tag zeigte der Wein mehr Holzeinfluss und passte besser – ich gebe eine glatte Zwei. Der Wein für sich verdient mindestens eine Zwei plus. Wer Bedenken gegenüber Holzfass-ausgebauten Deutschen Weinen hat, der sollte sich diesen mal als Einstiegsdroge gönnen: nicht zu dick, nicht zu alkoholisch, nicht zu holzig (das Doppelstück ist ein 2400-Liter-Fass), nicht zu ‚international‘ (oder beliebig) und vor allem: nicht zu teuer (14€).

Dönnhoff, Weißburgunder&Grauburgunder QbA ‚Doppelstück‘,2009, Nahe. Am ersten Tag entströmt dem Glas ein sehr fruchtiger Duft mit grünem Apfel, Birne und Mandarine, dazu nur ein Hauch Vanille vom Holzfassausbau. Auch am Gaumen dominiert Frucht, hier vor allem Birne und etwas Mandarine. Der Wein ist sehr balanciert: ein bisschen cremig, spürbare, harmonische Säure, leichte Mineralik und nur ein wenig Holz. Relativ langer Abgang. Am zweiten Tag zieht sich die Frucht etwas zurück und Holz- und Röstaromen werden spürbarer. Das macht den Wein nicht besser oder schlechter, sondern lediglich anders. 13% Alkohol sind zu jeder Zeit gut integriert.